Robert Lowe ist ab sofort auch statistisch gesehen der zweitwichtigste Sänger in der Geschichte von CANDLEMASS: Er ist der einzige Frontmann, der es auf mindestens drei offizielle Langspiel-Veröffentlichungen geschafft hat, abgesehen vom ehemaligen Aushängeschild Messiah Marcolin natürlich. Nach dessen erneutem Ausstieg und den zwei folgenden Studioalben trägt man nun mit „Ashes To Ashes - Live“ der Tatsache Rechnung, dass die Band es mit Robert Lowe erstmalig geschafft hat, wirklich eine neue Ära einzuleiten. Hierfür wurden 2009 zwei Shows aufgezeichnet, einmal auf einer großen Festivalbühne beim Sweden Rock, zweitens ein Headliner-Gig im Club Gagarin in Athen. Diese Aufnahmen erscheinen in verschiedenen Zusammenstellungen: Die CD/DVD-Kombination enthält den Sweden-Rock-Auftritt als Audio-CD (der separat auch in mp3-Form erhältlich ist), sowie beide Shows als Videoaufzeichnung. Außerdem gibt es beide Live-Aufnahmen jeweils als Doppel-LP. Warum ausgerechnet der Headliner-Gig in Athen somit in Audioform nur auf Vinyl veröffentlicht wird, bleibt unklar und trägt nur zum allgemeinen Durcheinander bei. Zur Rezension lag wiederum lediglich der Soundtrack der Sweden-Rock-Show vor, somit reduziert sich diese Besprechung auf ein Live-Album.
Für die Aufzeichnung dieses Auftritts sprachen sicherlich die hervorragenden Bedingungen und die Ausstattung des Festivals. Der Hörer darf sich über einen erstklassigen Klang freuen (solch einen Drumsound hatte die Band beispielsweise auf den letzten Studioalben nicht), der trotzdem lebendig und absolut authentisch wirkt. Hier wurde sicherlich so gut wie gar nichts nachbearbeitet, wofür auch diverse kleine Spielfehler sprechen. Die Band klingt frisch, kraftvoll und mitreißend und keinesfalls träge oder zu routiniert, wie es mancher von einer Doom-Metal-Kapelle und Achtziger-Legende erwarten mag. Wie relevant die neue Besetzung und deren aktuelles Material ist, zeigt auch ein Blick auf die Setlist: Fast die Hälfte der Songs stammt von den letzten beiden Alben, und diese reihen sich problemlos zwischen den Klassikern ein. Nummern wie „If I Ever Die“ oder „Hammer Of Doom“ scheinen sogar wie für die Festivalbühne gemacht zu sein. Zusätzlich gibt es zum Abschluss mit „Kill The King“ noch ein RAINBOW-Cover, wobei gerade unter Berücksichtigung der limitierten Spielzeit ein weiterer eigener Song die bessere Wahl gewesen wäre. Aber vielleicht war dies auch als Hommage an Ronnie James Dio gedacht, der mit HEAVEN & HELL auf dem gleichen Festival auftrat?
Robert Lowe meistert alte und neue CANDLEMASS-Nummern mit der ihm eigenen Intensität und Leidenschaft, als wären dies alles schon immer seine Songs gewesen. Gelegentlich nuschelt er ein wenig zu lässig ins Mikro und auch seine Entertainer-Qualitäten sind sicherlich nicht mit denen eines Messiah Marcolin zu vergleichen. Aber er versucht erst gar nicht, irgendeines von dessen beliebten Spielchen nachzuahmen, dieses Line-Up muss eben als völlig eigenständig und unabhängig angesehen werden. Ebenso hält er sich bei den Gesangslinien eher an die Originalversionen und verleiht den Songs seinen eigenen Touch, anstatt den eingespielten, aber oft abweichenden Live-Interpretationen seines Vorgängers zu folgen.
Für Candlemaniacs dürfte auch der Stereo-Mix interessant sein, da die beiden Gitarren strikt getrennt wurden. So ist auf der linken Seite nur Mats Björkman zu hören, der mit seiner eher rauhen, wuchtigen und werksgetreuen Spielweise essenziell für den massiven CANDLEMASS-Sound ist. Rechts dagegen geht Leadgitarrist Lars Johansson auch bei der Rhythmusarbeit deutlich verspielter zu Werke, improvisiert gerne und weicht häufig von der Studiovorlage ab. Damit erhöht er wiederum die Ausdrucksstärke, Frische und Spontanität der Performance entscheidend. Letztendlich macht genau die Kombination dieser beiden Ansätze CANDLEMASS zu einer solch spannenden, mitreißenden Live-Band.
FAZIT: Man muss CANDLEMASS für den Mut Respekt zollen, ausgerechnet auf einem großen Festival fast die Hälfte des Sets mit neueren Nummern zu bestreiten. „Ashes To Ashes - Live“ unterstreicht damit nach zwei Studiowerken mit Robert Lowe als Sänger, dass sich diese Besetzung etabliert hat und welche Relevanz sie mittlerweile innehat. Am Referenzwerk „Live“ von 1990 kratzt man zwar erwartungsgemäß nicht, aber hierzu hätte es auch einer vollständigen Headliner-Show bedurft. Auf dem Sweden-Rock-Auftritt fehlen neben einigen weiteren neueren Songs einfach zu viele Klassiker, die man gerne einmal im aktuellen Line-Up gehört hätte. Trotzdem ist „Ashes To Ashes - Live“ ein überaus gelungenes Live-Dokument geworden, das bei exzellenter Klangqualität angenehm authentisch und unbelassen wirkt. Über die visuelle Umsetzung kann hier leider keine Aussage getroffen werden, da nur der Audio-Teil zur Rezension vorlag.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.04.2010
Leif Edling
Robert Lowe
Lars Johansson, Mats Björkman
Jan Lindh
Nuclear Blast
64:51
23.04.2010