Auf kaum eine Hardcore-Scheibe war ich derart gespannt wie auf das neue Album der Kalifornier CEREMONY. Und kaum eine Platte hat mich so überrascht wie diese. Der Vorgänger „Still Nothing Moves You“ war nämlich noch um einiges rabiater, chaotischer und aggressiver – ein Crust-Gewitter jagte das nächste, ein fieser Moshpart folgte dem anderen, Uptempo-Nummern sorgten für Verwüstung, kranke Downtempo-Tracks taten es ihnen gleich.
Lässt der Post-Intro-Track und eigentliche Opener „Sick“, der auch auf der „Rohnert Park EP“ als solcher fungierte, noch auf gewohnte Kost schließen, so geht nach diesem Stück etwas anderes ab, und zwar vor allem eines: Der Punk.
Die überschäumende Wut zeigt sich auf diesem Geschoss eher durch eine herrliche Abgeranztheit, viel Angepisstheit und gelegentlich auch durch vor Sarkasmus triefender Positivität. Stücke wie „Don't Touch Me“, „Back In '84“ oder „M. C. D. F.“ atmen viel britischen 77er-Punkspirit, ebenso schwebt der Geist alter BLACK FLAG oder CIRCLE JERKS durch den Raum. CEREMONY wären aber nicht CEREMONY, wenn sie nicht hin und wieder auch stilistische Ausreißer böten.
So erinnert das schmissige „The Doldrums (Friendly City)“ an angekratzte NIRVANA oder sehr bekiffte MUDHONEY, und auch „Open Head“ schielt stark in Richtung Indie und Alternative. Noch einen Schritt weiter gehen die letzten beiden der drei „Into The Wayside“-Parts, die quasi gar nichts mehr mit Punk oder Hardcore zu tun haben.
Man kann trotz der Variabilität der – inklusive des versteckten Songs - fünfzehn Tracks sagen, dass „Rohnert Park LP“ stilistisch kompakter geworden ist, doch an Energie hat der Fünfer um den unverkennbaren Schreihals Ross Farrar nirgendwo eingebüßt. Lediglich umgelagert wurde sie und ist durch ihre neu gewonnene Subtilität fast schon effektiver.
FAZIT: Gleiche Band, zu 80% veränderter Stil, aber unveränderte Durchschlagskraft – das Westküsten-Quintett ist sich trotz einer unerwarteten Metamorphose in vielem treu geblieben und hat auch das Schreiben richtig fetter Songs nicht verlernt. All dies und diese verflucht elektrisierende Eigenschaft der Platte würden eine Punktzahl unter 13 einem Sakrileg, einem Frevel, einem Unding gleichkommen lassen.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.07.2010
Justin Davis
Ross Farrar
Ryan Mattos, Anthony Anzaldo Jr.
Jake Casarotti
Bridge Nine
35:49
11.06.2010