Madame Chauchat ist Hans Castorps Bezugspunkt fleischlicher Begierde in Thomas Manns „Zauberberg“. Die erotische Spannung zwischen dem Protagonisten und der katzenäugigen Schönheit aus Russland findet seinen Höhepunkt in der für Castorp ganz untypischen, flammenden Liebesrede, die er seiner Angebeteten in der Karnevalsnacht auf Französisch hält. Surreal mutet diese Szene an, nicht zuletzt, weil Hans Castorp eine Narrenkappe trägt und das fröhliche Treiben der Feier im Hintergrund sich seltsam vom aufgewühlten Seelenzustand des bis zur Verwirrung Liebenden abhebt. Ein wenig surreal mutet auch die Musik des deutschen Duos CHAU CHAT an: Die Vermischung von klassischer Musik, dramatischem Pop und Alternative Rock bringt zusammen, was nicht zusammen zu gehören scheint.
Träumerisch erklingt „Apfelkura“, das mit seinen melancholischen Piano-Melodien auch von einem Yann-Tiersen-Soundtrack hätte stammen können. Wunderschön! Schmissiger geht es mit „My Little Girl“ weiter: Der tanzbare Alternative Pop mit Klassik-Tupfern geht in Herz und Beine und wirkt trotz starker Eingängigkeit alles andere als platt. Mit dem Gesang beginnt die Zerreisprobe: Wer Christian Illis Art zu singen erträgt, der bekommt mit „Le Début“ ein ungewöhnliches Crossover-Pop-Album geboten, das zwischen schwelgerischer Schönheit und introvertierten Piano-Passagen deutlich aus der Veröffentlichungsmasse herausragt. Der Rest zerbricht an der affektierten Art Illis, seine Emotionen in Töne zu gießen. Wie mit einem pseudo-laszivem Sprachfehler und ständig absichtlich brechender Stimme ächzt und stöhnt sich der Mann durch die vierzehn Songs, dass einem Angst und Bange wird. Das klingt für meine Ohren nicht emotional, sondern künstlich. Dass es auch anders geht, zeigen genügend normale gesungene Songpassagen, doch das dahinschmelzende Stöhnen und Seufzen zieht sich wie ein roter Faden durch das Album, was „Le Début“ für mich nahezu unhörbar macht. Sehr schade ist das, denn CHAU CHAT zeigen kompositorische Finessen und ein feines Händchen dafür, klassisches Instrumentarium in moderne Art-Pop-Nummern zu integrieren.
FAZIT: Wer mit dem Gesang leben kann (ihn vielleicht sogar schätzt?), bekommt in der Schnittmenge aus alternativem Pop, Klassik und elektronischen Elementen ein interessantes Album geboten, das auf jeden Falls aus der Masse herausragt.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.05.2010
Christian Illi
Christian Illi, Ron Flieger (alles)
Dienje Music/Rough Trade
42:52
14.05.2010