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Eberhard Schoener: Bali-Agúng

Stil: Elektronische, avantgardistische Weltmusik

Cover: Eberhard Schoener: Bali-Agúng

"Meine Botschaft ist die Musik. In meinem Leben versuche ich, eine genuine Form zeitgenössischer Musik zu schaffen, in der sich Oper, Jazz, ethnische und elektronische Musik miteinander verbinden. Emotionalität ist mein Credo."

Das sagt der Weltenwandler zwischen allen musikalischen Grenzen, Eberhard Schoener, über seine Musik. Und dass das Gesagte nicht nur aus leeren Worten besteht, beweist die neue, wiederum liebevoll gestaltete CD- und DVD-Kombi von MIG (Made In Germany Music) anschaulich und „anhörlich“.

Wir schreiben das Jahr 1975. PETER GABRIEL brauchte noch einige Jahre, um für sich die Weltmusik zu entdecken. Ein anderer Musiker aus Deutschland, war ihm diesbezüglich um Längen (oder Zeiten) voraus: EBERHARD SCHOENER. Durch die Erzählung eines Freundes entdeckte er Bali und die „seltsame Musik“ dieses fremden Kulturkreises für sich. Mit seinem Freund, dem Schlagzeuger PETE YORK, bereiste er das Land, um dem Geheimnis der Gamelan-Musik auf den Grund zu gehen und sie mit seinem Album „Bali-Agúng“ auf dem europäischen Kontinent bekannt zu machen. Gamelan-Instrumente bestehen hauptsächlich aus Metallophonen mit Klangplatten aus Bronze, Gongs und Trommeln, die mit Hämmern aus Holz oder Horn zum Klingen gebracht werden. Zusätzlich wird diese Musik durch Xylophone und Flöten ergänzt. Die balinesischen Musiker kennen keine Dirigenten oder Noten-Partituren, sondern nur einen Vortänzer. Seine Bewegungen, ob schwebend oder dynamisch, meditativ oder exzessiv, sind Vorlage für die Dynamik und Spielweise der Musik. Das Grundprinzip der Musik ist die Intuition.

Dieser Natürlichkeit setzte SCHOENER gemeinsam mit YORK die Künstlichkeit von Moog Synthesizern, Mellotron und Schlagzeug entgegen. Dabei heraus kam wohl das erste echte Worldmusik-Album aller Zeiten, dessen Besonderheit auch noch darin bestand, dass der trommelnde YORK und der Elektronik-Tüftler SCHOENER 1975 mit allen notwendigen Geräten nach Denpasar auf Bali reisten, um die Musik dort aufzunehmen. Auch ein Kameramann begleitete sie, um den Entstehungsprozess dieser eigenartigen Musiksynthese zu filmen. Das Ergebnis darf man auf der beigefügten DVD bewundern: „Bali-Agúng oder die andere Zeit“. Ein Dokumentarfilm, der 1976 mit dem „Stern der Woche“ von der Feuilleton-Redaktion der Abendzeitung ausgezeichnet wurde.

Betrachtet man das musikalische Ergebnis, so ist dabei ein Album heraus gekommen, das an die elektronische Klangmalerei eines KLAUS SCHULZE erinnert, welche von Gamelan-Musik überlagert oder ergänzt wird und zusätzlich durch indianisch anmutende Gesänge sowie begleitende und solistische Schlagzeugeinlagen geprägt wird.

Anfangs erscheint diese Kombination recht gewöhnungsbedürftig. Doch spätestens nach dem Betrachten der Dokumentation erschließt sich das unglaubliche Potenzial, welches sich hinter „Bali-Agúng“ verbirgt. SCHOENER versuchte schon immer musikalische Grenzen zu überschreiten – und dieses Album ist wohl sein größter Grenzübertritt. Während „Tjandra“ noch sehr atmosphärisch, meditativ und dunkel – kein Wunder für einen Titel, der übersetzt „Der Mond“ heißt – daher kommt, erfolgt mit dem „Dämonenkönig“ ein radikaler Wechsel zwischen urischen Gesängen und fast bedrohlichen Keyboardflächen, die einer Beschwörung gleichen. Mit „Nadi“ erklingt dann endlich vordergründig das Gamelan, wiederum untermalt von elektronischen, aber deutlich melodiöseren Klängen sowie einer herrlichen akustischen Gitarre, gespielt von SIEGFRIED SCHWAB. An einigen Stellen dieses Zehnminüters werden sogar deutliche Erinnerungen an TANGERINE DREAMs „Alpha Centauri“ wach, gerade weil die letzten 5 Minuten des Stücks von der Elektronik leben. Bei „Surija“ kommen als neue Klangkomponenten die Flöte und erste umfangreichere Trommeleinlagen hinzu. „Ramayana“ widmet sich wieder verstärkt den ausgelassenen Gesängen und mit Ketjak-Rock wird tatsächlich gerockt, wobei ein treibendes Schlagzeug die Führung übernimmt, dem sich die Gesänge anpassen. Ähnlich gestalten sich dann auch die letzten beiden Titel, wobei besonders das Schlagzeugsolo in „Gong – Gede“ hervorsticht.

Auch wenn es sonst nicht meine Art ist, dermaßen umfangreich auf einzelne Titel einzugehen, so erscheint mir dies bei „Bali-Agúng“ fast unerlässlich, um meine Behauptung bezüglich der extremen „Grenzwertigkeit“ dieses Albums zu untermauern. Ein musikalischer Weltausflug, den man wirklich gehört haben muss. Ob man ihn wirklich mag, liegt immer ausschließlich im Sinne des Betrachters.

FAZIT: Es ist sicher keine Übertreibung, den Visionär und Wanderer zwischen den musikalischen Welten, EBERHARD SCHOENER, als ein GENIE auf dem Gebiet der „Experimentellen Musik“ zu bezeichnen. Dieses Experiment aus Elektronik, Schlagzeug und balinesischer Musik macht es dem Hörer nicht leicht. Doch gerade das macht ja die eigentliche Genialität gelungener Musik aus.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.11.2010

Tracklist

  1. CD:
  2. Tjandra (Der Mond)
  3. Rawana (Der Dämonenkönig)
  4. Nadi (In Trance sein)
  5. Surija (Die Sonne)
  6. Ramayana (Balinesisches Märchen)
  7. Ketjak-Rock
  8. Agúng Raka – Dalang (Agúng Raka der Schattenspieler)
  9. Gong – Cede (Orchester)
  10. DVD:
  11. „Bali-Agúng oder die andere Zeit“ – eine Dokumentation von Eberhard Schoener

Besetzung

  • Gesang

    Gameland Orchestras Of Saba And Pinda Of Prince Agúng Raka

  • Gitarre

    Siegfried Schwab

  • Keys

    Eberhard Schoener

  • Schlagzeug

    Pete York

  • Sonstiges

    Gamelan (Gameland Orchestras Of Saba And Pinda Of Prince Agúng Raka)

Sonstiges

  • Label

    MIG (Made In Germany) Music

  • Spieldauer

    39:32 (CD) / 43:30 (DVD)

  • Erscheinungsdatum

    29.10.2010

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