Es ging mir schon im Zusammenhang mit der neuen AGAINST ME! durch den Kopf, dass es durchaus Vorteile hat, den Backkatalog einer Band nicht zu kennen. Ungerechte Vergleiche zum Vorgänger bleiben aus, das aktuelle Werk zählt, nicht die Geschichte. Und so ist es vielleicht auch mit END OF GREEN und „High Hopes In Low Places“, die von der Promo-Maschine ja ordentlich mit Vorschusslorbeeren bedacht werden und schon auf sechs Alben seit 1992 zurückblicken können. Ich gebe zu, meine Erwartungen waren recht hochgeschraubt und der erste Durchlauf des Silberlings vor einigen Wochen dann doch eher ernüchternd. Um mir das Ganze mal in live und in Farbe zugeben, war auf dem W:O:A frühes Aufstehen angesagt und beim Anblick der Band gingen mir spontan drei Dinge durch den Kopf:
Ist das „Metal für Mädchen“?
Warum spielt die Band morgens in praller Sonne?
Wozu braucht die Band drei Gitarren?
Nun, „Metal für Mädchen“ ist natürlich kein Schimpfwort, sondern eher eine Kategorisierung, die eine gewisse Weichheit und Poppigkeit ausdrückt. Aber nach dem x-ten Durchlauf stellt man fest, dass END OF GREEN eigentlich mehr in depressiven Rockgefilden zuhause sind, als im Land kreischender Gitarren, die auf „High Ends In Low Places“ nur sehr sehr selten zum Einsatz kommen. Pop-Appeal ist nichts schlimmes, an einigen Passagen mit synthetischen Tasteninstrumenten schrammt die Band aber nur um Haaresbreite an der Grenze zum Schmalz vorbei, etwas weniger dick aufgetragen wäre sicher mehr gewesen. Grundsätzlich steht der Popansatz den kompakten Songs und der weichen dunklen Stimme von Fronter Michelle Darkness aber gut zu Gesicht.
Frage Zwei leitet einmalig geschickt zum transportierten Gefühl der Songs über. Bei der frustrierten und deprimierten Stimmung der Songs war Sonne das letzte, was man brauchen konnte, dunkle Nacht und Nieselregen wären angebracht gewesen. Eventuell sollten END OF GREEN mal über die Anschaffung einer Sprenkleranlage für leichten Regen in der Live-Situation nachdenken, zur Beleuchtung sollten ein paar Kerzenleuchter ausreichen. Mit „melancholisch“ könnte die Grundstimmung von „High Hopes In Low Places“ treffend beschrieben werden, „hoffnungslos“ ist sie aber nicht, zu melodiös und gelegentlich hymnisch sind die Songs geraten, vergleichbar sind entfernt die alten Balladen von HIM, die bekannterweise nicht zu den schlechtesten gehören.
Frage Drei ist dagegen schwer zu beantworten, aber das trifft auch für die anderen wie Unkraut aus dem Boden schießenden Drei-Axt Kombos zu, sogar bei MAIDEN stelle ich mir gelegentlich diese Frage. Was man END OF GREEN aber lassen muss, ist die große Dichte des Sounds, für Polyrhythmik und wilde Gitarrenduelle ist hier kein Platz, stattdessen wird mehr Wert auf ruhige bis sehr ruhige, fließende und durchaus massenkompatible Songs gelegt, die nicht nur eingängig sind, sondern auch kompakt und wie aus einem Guss wirken, Mitsing-Refrains und Yeah-Yeah-Yeahs inklusive. Wenn END OF GREEN in Fahrt kommen, ist ihre Catchyness kaum zu toppen, beste Beispiele sind hier „Slaves“ oder der absolute Hit „Tie Me A Rope… While You’re Calling My Name“, der sich wurmartig mit Widerhaken im Ohr festsetzt.
FAZIT: „High Hopes In Low Places“ ist vielleicht nicht das Überalbum geworden, als das es gerne bezeichnet wird, aber END OF GREEN liefern hier überdurchschnittliche Kost ab, sofern der Hörer Massenkompatibilität nicht als Ausschlusskriterium betrachtet. Für Hobbysuizidanten ist sicher der eine oder andere Hit vertreten, ich selbst stelle zu meiner eigenen Verwunderung fest, dass gerade die sehr ruhigen Songs ab einer bestimmten Lautstärke zunehmend wachsen. Gute Scheibe für dunkle Herbsttage.
Aber jetzt doch: „One, two, three, four. Go!“. Gitarrengeschredder einsetz.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.08.2010
Rainier Sicone di Hampez
Michelle Darkness
Michelle Darkness, Sad Sir, Kirk Kerker
Lusiffer
Silverdust Records
43:18
20.08.2010