Es gab in meinem Leben einstmals eine (mehr oder weniger) glückliche Zeit, in der ich mit einer streng dem lieben Gott frömmelnden und am Freitag keinerlei Fleisch (dafür aber zwanghaft Fisch) essenden Dame liiert war. Zum Glück ist die Beziehung beendet, denn seitdem darf ich bestimmen, wann ich Fisch oder Fleisch oder nur vegetarisch esse. FISCH AM FREITAG gibt’s kaum noch bei mir. Schlechte Erfahrungen eben – an die ich beim Hören des Bandnamens (und später auch der Musik), den sich die beiden belgischen Keyboarder einfallen ließen, sofort denken muss.
So! Das musste im Vorfeld erst einmal gesagt werden. Doch jetzt werde ich mein Feuerzeug anzünden und es die ganze Zeit über meinem Kopf schwenken, während ich diese Kritik schreibe.
Und wer ist Schuld daran?
Natürlich ein FRANK VAN BOGAERT, der in YOGI-LANG-Tonlage (RPWL) singende Tastendrücker besagter freitags Fisch-Verspeiser. Im Grunde für mich ärgerlich, denn er selber gibt mir keine Chance, eine objektive Kritik zu schreiben und nach irgendwelchen Schubladen, Pfannen oder Aquarien zu suchen, in die ich diesen Fisch schmeiße bzw. brutzle oder schwimmen lasse.
Das hat BOGAERT selbst zu verantworten, weil er eine Einordnung vornimmt und dabei eine (extrem schreckliche) Variante vorschlägt (Ich zitiere!!!): WOMEN FRIENDLY PROG ROCK („Weiber“freundlicher, progressiver Rock) – solcher Scheiß muss einem erst einmal einfallen. Na ja, vielleicht beweist die Musik ja, dass es solchen Scheiß auch akustisch gibt?! Sie beweist es!
Akzeptiert.
Ich bin komplett voreingenommen – als MitGLIED im progressiven Rock-Universum, kann ich doch nicht so einfach über die Hörgewohnheiten der OhneGLIED(er)innen philosophieren.
Obwohl, auch die beiden Musiker sind schließlich MitGLIEDer! Aber wahrscheinlich können die sich einfach nur besser in die Hörgewohnheiten von Frauen hineinversetzen, ähnlich, wie Blondinen-Witze-Erzähler sich garantiert fantastisch in Blondinen hineinzuversetzen vermögen.
Gut.
Jeder, der bis hierher gelesen hat, ahnt wohl, dass ihm, oder besser den progressiven Frauenverstehern, nunmehr ein Verriss erwartet. Das allerdings hat überhaupt nichts mit meinen desaströsen fleischlosen Freitagserfahrungen zu tun, sondern mit der Musik an sich. Wer dann völlig anderer Meinung als ich ist, der kann ja im Gästebuch auf mich einhacken – ich werde garantiert keinen einzigen Beitrag löschen. Fest versprochen!
Erster Eindruck:
Man hält ein angenehm gestaltetes Digi-Pack in der Hand, das sich dreiteilt und sogar ein Booklet mit allen Texten enthält. Große Klasse. Gefällt mir – und bestimmt auch allen männlichen und weiblichen Lesern dieser Kritik!
Zweiter Eindruck:
FISH?! Ohhaaa, geht die Musik in Richtung MARILLION-Sänger, der ja, nicht nur am Freitag, bei Live-Auftritten ungewöhnlich viele weibliche Fans vor die Bühne bringt, was wohl besonders an einer der wundervollsten Balladen aller Zeiten, die aus seiner Feder stammt, liegt: „A Gentleman’s Excuse Me“? Schwer geirrt! Die freitagsFISHenden Belgier verbindet mit FISH in etwa genauso viel wie BRITNEY SPEARS mit TORI AMOS (Das sind zwar beides musizierende Frauen … aber das war’s dann definitiv auch schon!)!
Dritter Eindruck … die Musik (und jetzt wird’s haarig):
In der Promomitteilung heißt es dazu, dass die beiden Belgier „innerhalb von ein paar Monaten als Duo großartige Songs mit echten Prog-Wurzeln“ geschrieben haben, die garantiert auch Leuten gefallen, „die mit dem Prog-Rock nicht sonderlich viel anfangen können“.
Für mich wird eher umgekehrt ein Schuh daraus: Wer wirklich auf komplexen Prog-Rock steht, der ideenreich und vielen Experimenten gegenüber aufgeschlossen ist, auch mal vor einem längeren Instrumental-Solo nicht halt macht, aber ebenso schöne Melodien in seine Kleinkunstwerke einzuflechten vermag, der sollte sich lieber auf die dunkle Seite des Mondes begeben, statt ihn mit FISH ON FRIDAY abzuschießen.
Dieses Debut-Album ist der jämmerliche Versuch, „frauenfreundlich“ zu klingen, ohne zu wissen, was das eigentlich bedeutet. Aus Sicht von „Shoot The Moon“ wohl nichts Anderes als eine Kreuzung aus dem ALAN PARSONS PROJECT zu Zeiten ihrer 80er-Jahre-Hits, wie „Don’t Answer Me“, mit den Altherren-Insel-Visionen eines todlangweiligen DAVID GILMOUR und der mörderischen Langeweile allerschlimmster Neo-Prog-Ergüsse einiger missglückter PENDRAGON-Alben.
Natürlich gibt es auch einen verhaltenen Höhe- und viele Tief-Punkte, wobei einer wiederum nicht zu übertreffen ist. „Star“, in dem es wirklich um die Jagd nach schnell-, aber kurzlebigen Erfolgen über YouTube, Myspace oder Facebook geht, klingt nach einem seltsamen Anfang, der an „A Momentary Lapse Of Reason“ von PINK FLOYD erinnert, plötzlich wie die Reinkarnation von SCOOTER meets D.J. BOBO und alle reißen dabei die Hände hoch und grölen mit. Also da muss bei Herrn VAN BOGAERT & BECKERS wirklich kurzzeitig der (Musik-)Verstand ausgesetzt haben!
Aber auch der Höhepunkt soll nicht vorenthalten bleiben. Der Titelsong „Shoot The Moon“, an dem sich auch das gelungene Cover deutlich orientiert, geht um einen kleinen Jungen, der in einem Versteck beobachtet, wie der Vater bei Mondesschein seine Familie misshandelt und dabei angstvoll seinen Hasen an sich drückt, um mit ihm vor den Gewalttaten zu fliehen. Seine Erkenntnis: eines Tages wird er sich eine Waffe besorgen und auf alles schießen, was sich unter dem Mond bewegt und am Ende mit seiner Knarre den Mond selbst vom Himmel holen. Recht dramatisch, wobei, man glaubt es kaum, die Musik anfangs stark „Das Boot“ von U96 erinnert. Der Sänger dagegen klingt immer gleich, eben wie YOGI LANG, der ja wiederum wie DAVID GILMOUR klingt. Allerdings bei Weitem nicht deren Niveau erreichend.
Nun könnte man mir natürlich zum Vorwurf machen, dass ich ja gar keine Ahnung vom „Frauen-Prog“ habe, weil mir eben das gewisse weibliche Etwas fehlt. Also habe ich meine 24jährige Tochter, übrigens auch Musikerin, darum gebeten, sich das Album anzuhören und mir ihre Eindrücke mitzuteilen. Nach eine Stunde kam sie drucksend in mein Zimmer, weil sie wohl glaubte, mir gefällt das Album, und schaute mich vorsichtig an. Natürlich hatte ich ihr keinerlei Tipp gegeben, welche Wirkung nach dem zehnten (!!!) Hördurchgang „Shoot The Moon“ auf mich hinterlassen hatte. Ein wenig vorwurfsvoll, aber vorsichtig sprach sie dann zu mir: „Also mach, was du willst, Vati, aber die CD hört sich nach billigem Pop-Rock an, dem jegliche Hookline fehlt!“ So viel also zur Frauenfreundlichkeit – und meine Tochter ist immerhin mit einem fanatischen Prog-Vater aufgewachsen, der PINK FLOYD liebt und trotzdem zugibt, dass „The Division Bell“ ziemlicher Dünnschiss seiner Helden ist! Aber es geht noch dünner …
Übrigens ist heute Freitag. Mal wieder Zeit, ein richtig schönes, leicht durchgebratenes Rumpsteak zu verspeisen, an seine nicht mehr sonderlich vermisste Liebe samt ihrer seltsamen Speisegewohnheiten zu denken und sich das um Längen bessere Album von BROTHER APE anzuhören, das bereits darauf wartet, von mir auf diesen Seiten rezensiert zu werden!
FAZIT: In leichter Abwandlung des 9. Titels (Surviving November) gilt für dieses Album: "Survive ‘Shoot The Moon’ and you are welcome in the illustrious group of women-friendly Prog-Rockers!" (Zu gut Deutsch: "Überstehe ‘Shoot The Moon’ und du bist herzlich willkommen in der illustren Schar der frauenfreundlichen Prog-Rocker!")
Punkte: 5/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.12.2010
Frank Van Bogaert
Frank Van Bogaert, William Beckers
Marcus Weymaere (Schlagzeug), Marty Townsend & Hans Van Der Leede (Gitarren), Robin Aerts & Bert Embrechts (Bässe), Dany Caen & Chantal Kashala (Hintergrundgesang)
Eigenvertrieb / Just For Kicks
47:50
10.12.2010