Es ist immer wieder das gleiche Spiel. Da bringt man als leidenschaftlicher Musiker oder leidenschaftliche Band ein Album heraus, das genau all das widerspiegelt, was man in sich trägt, nämlich Können, Tiefe, Intelligenz und Leidenschaft. Nur hat man dabei eins nicht so recht beachtet. Heutzutage geht’s nicht in erster Linie um solche Eigenschaften. Wichtiger ist da schon Vermarktung und Verkauf (von Alben und oftmals eigenen Idealen, also sich selber). Man glaubt an das, was man geschaffen hat, an „sein musikalisches Kind“. Doch dieses Kind passt einfach nicht in die Landschaft, es denkt zu viel und folgt zu wenig … und so bleibt es ein Außenseiter. Genauso wie das erste, zutiefst beeindruckende und längst vergriffene Album der deutschen Band FLOAT „The Way Life Goes“.
Und nun steht man da und fragt sich: „Wie geht’s jetzt weiter? Klammern wir uns an unsere Ideale oder gehen wir Kompromisse ein?“ So ähnlich zumindest stelle ich mir die FLOAT-Gedanken vor, als sie sich daran machten, ihr zweites Album „Far Beyond Words“ in Eigenregie zu produzieren. Das schien leider zur Folge zu haben, dass bei Weitem nicht so ein kompromissloses Album wie der Vorgänger heraus kam. Aus meiner Sicht ist das schade, aus Sicht derjenigen, die eine so begnadete Band wie die BOOMERS mit ihrem folkigen Rock und Pop, einen frühen „Boss“ SPRINGSTEEN oder den Ausnahmemusiker BRUCE HORNSBY mögen, sicherlich eine absolute Entdeckung. Vielleicht wäre „Far Beyond Words“ auch für mich solch eine Entdeckung geworden – wenn ich nicht den Vorgänger dieser Scheibe gekannt und unglaublich gemocht sowie auf diesen Seiten sogar besprochen hätte. Gerade weil er Überraschungen bereithielt, wie beispielsweise neoprogressive Klänge, die auf ihrem Zweitwerk fehlen. Ein Kompromiss, oder doch eine Überzeugungstat? Hoffentlich kein Kompromiss!
„Jenseits aller Worte“ ist das aktuelle Album im Grunde nicht, der Vorgänger war es eher. Doch trotzdem sollte es jede Menge Beachtung erhalten. „Far Beyond Words“ ist eine kluge Kombination aus härteren, folk-rockigen Stücken und wundervollen Balladen, die einem die Nackenhaare hoch stehen lassen und eine gewaltige Gänsehaut bescheren. Das liegt neben den beeindruckenden instrumentalen Fähigkeiten besonders auch an dem so vielfältigen Gesang, für den mir speziell ein Wort einfällt: Charisma. Außerordentlich angetan hat’s mir dabei „Symbolic“. Eine Ballade samt bewundernswerter Hookline, die traurig und bedrückend genau das vertont, was in meiner Kritik wie ein Vorwurf gegen die Band klingt: „Another lie another broken promise / And I’m losing sense of what I do.“
Aber es kommen auch unweigerlich so einige Erinnerungen bei „Far Beyond Words“ auf. Am auffälligsten wohl in „I Didn’t Not Know“, das mit einem virtuosen Klaviereinsatz beginnt, bei dem definitiv BRUCE HORNSBY Pate stand. Auch das Thema ist immer wieder aktuell: betrogene Liebe. Übrigens ein wundervoller Abschluss des Albums, der einen gleich noch einmal die Play-Taste drücken lässt.
Der Hörer sollte sich unbedingt Zeit nehmen für das zweite FLOAT-Album. Dazu gehört auch, sich in Ruhe die Texte im Booklet durchzulesen. Hier gibt’s jede Menge zu entdecken – wortwörtlich geht’s um Gott (What If?) und die Welt, ganz besonders natürlich die Liebe und das Leid. Eine Frage wie „What if we honour a faithless god?“ klingt schon fast nach Blasphemie, hat aber überhaupt nichts damit zu tun, sondern richtet sich gegen diejenigen, die für all den Scheiß, der Hier und Heute passiert, immer wieder eine „göttliche“ Rechtfertigung finden und sogar in dessen Namen „Wars and anger / Is what you seed“ den Boden für Terrorismus und Kriege ebnen. Afghanistan lässt grüßen, während der gute, immer dünner und grauer werdende Barak mit umgehängtem Friedensnobelpreis das Feuer eröffnet, um mit aus seiner Sicht göttlicher Rechtfertigung den Anderen ihren Gott auszutreiben. Ja, solch seltsame Gedanken überkamen mich tatsächlich gleich nach dem ersten Hören des Openers „What If?“!
Doch es gibt noch viele andere Größen, an die man sich bei FLOAT erinnert fühlt. Eine ganz besondere ist dabei wohl der BOSS. Doch wenn wir bei ihm bleiben, dann würde ich mal ganz lapidar und ein wenig gemein behaupten, dass „The Way Life Goes“ SPRINGSTEENs sperriger „The River“ war und mit „Far Beyond Words“ nur noch ein eingängiges „Born In The USA“ übrig bleibt. Ich mochte eben „The River“ unendlich und hatte nie sonderlich Lust, das Tanzbein nach „Born…“ zu schwingen. Ironie des Schicksals oder doch nur Zufall, dass der dritte Titel den Namen „Don’t You Cry Me A River“ trägt?
Alle, die es genau umgekehrt sehen und den BOSS gerade wegen seiner schönen und eingängigen Titel lieben, werden an „Far Beyond Words“ ihre wahre Freude haben und können auf meinen Punktwert gleich noch 3 Punkte zuschlagen, ohne dabei enttäuscht zu sein.
Eins nämlich haben alle Titel gemeinsam, so melodiös, rockig, liebevoll, ruhig oder provokant sie auch sind: viel, viel Gefühl, trotz des einen oder anderen plakativen Ausrutschers. Am Ende bleibt nicht „Hate, Rage & Rock ‚n’ Roll“ (ein wirklich schwacher Titel), „All These Lovers“ (ein noch schwächerer Titel) oder „Fall“, sondern „Time To Deliver“ und „Heart Days“ – Musik fürs Herz und für den Geist. Believe me, goddamned, I know it!
FAZIT: Noch immer verstecken sich in Deutschland auch außerhalb jeglicher Superstarsuche so einige musikalische Entdeckungen, die einfach zu gut und zu ehrlich und zu stolz sind, sich als Idioten vor einem Dieter Bohlen zu verkaufen. Und auch wenn sie auf ewig unentdeckt bleiben sollten, sind sie um Längen besser als all dieser gepushte Krams. FLOAT zumindest sind mit ihrer Musik der lebendige Beweis für diese Behauptung.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.01.2010
Wolfram Herz
Marcus Tautz, Marcel Hug
Marcel Hug, Nicolai Ahl, Timo Berger
Timo Berger
Sturmi
Eigenvertrieb
50:50
10.01.2010