Wer genug hat, von klischeetriefendem Progressive Rock, der seine eigene Genrebezeichnung ständig ad absurdum führt, dem sei das kanadische Quintett HALF PAST FOUR wärmstens ans Herz gelegt. Es ist nicht so, dass „Rabbit In The Vestibule“ konsequent jedes Element progressiver Rockgeschichte ablehnt, im Gegenteil, HALF PAST FOUR mixen mit einer gehörigen Portion Humor Altbekanntes zusammen und würzen das Ganze schließlich mit einem Cocktail ganz eigener Gewürze, die das Debüt-Album dieser erstaunlichen Band zu einer wahren Abenteuerreise gedeihen lassen.
HALF PAST FOUR bieten dem Hörer eine selten breite Palette an Einflüssen an, die in Perfektion in eine musikalische Einheit gegossen wurden. Klassischer Prog trifft auf moderne Spielereien, Latin tanzt mit dem Blues zum Jazz und musicalartige Melodien spannen einen bunten Bogen um Harmonien und Disharmonien, die von beschwingten Takten und polyrhythmischen Skurrilitäten gleichermaßen angetrieben werden. Sängerin Kyree Vibrant führt mit Kate-Bush-Tonlagen das Geschehen an, sing aber kräftiger und auch gern mal schräger drauflos.
Bei aller Stiloffenheit verstehen es HALF PAST FOUR, mit leichter Hand ein kunterbuntes Blumenmeer zu einem gebändigten Strauß zu binden. Anspieltipps zu geben, ist schwer. Wer es nicht erwarten kann, sollte „Poisened Tune“ probieren, das erst Musical-Flair versprüht, Folklore mit nervös zuckenden E-Gitarren verbindet und am Ende zu orientalischen Melodien progmetallisch riffend zu Ende geht. Urlaubsstimmung kommt mit „Underwater“ auf. Zuerst ertönen gespenstische U-Boot-Klänge, bis das Gefährt aus tiefsten Tiefen auftaucht und der Hörer inmitten warmer Wellen an einen karibischen Strand gespült wird. „Lullaby“ dürfte den Traditionalisten ansprechen: Was als Keyboard-Hommage an PINK FLOYD beginnt, mutiert zu einem stampfenden Prog-Rock-Instrumental. Einzelne Songs herauszugreifen ist unfair, weil HALF PAST FOUR bei jedem Track etwas Neues zu bieten haben.
FAZIT: Komplex und abwechslungsreich musizieren diese Kanadier und bleiben dabei jederzeit zugänglich. Ohne überlange Songs bietet „Rabbit In The Vestibule“ ein progressives Kaleidoskop, das Fans von KING CRIMSON und FRANK ZAPPA ansprechen, aber auch Anhänger moderner Prog-Visionäre im Stil vom DIABLO SWING ORCHESTRA mehr als sättigen dürfte. Grenzenlose Musik also, die Klischees nicht bedient, sondern als Inspiration für Neues gebraucht.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.05.2010
Dmitry Lesov
Kyree Vibrant
Constantin Necrasov
Igor Kurtzman
Ann Brody
HPF/Just For Kicks
63:25
30.04.2010