Als Mensch, der Mitte der Achtziger mit Hardcore sozialisiert wurde, ist dieses aktuelle Post-Hardcore-Ding für mich so etwas wie Pop-Musik mit harten Gitarren. Da macht auch das Quartett HAWTHORNE HEIGHTS aus Ohio keine Ausnahme. Dass die Band schon von ihrem Erstling via Victory Records eine dreiviertel Million Einheiten absetzen konnte, spricht sicher für ihre Massenkompatibilität, die ihr jetzt einen Deal mit Wind-Up/EMI, also dem Major-Satan, eingebracht hat.
Dieses geht gewöhnlich mit Zunahme musikalischer Bedeutungslosigkeit einher und die Befürchtung zeigt sich gleich im zahnlosen Opener „Bring You Back“, der in dieser oder ähnlicher Form schon zig Mal über den Äther gerauscht ist. Es ist zweifellos tragisch, dass Gitarrist und Sänger Casey Calvert 2007 auf Tour wahrscheinlich durch eine unglückliche Kombination von Medikamenten gestorben ist, aber nachdem schon das Vorgänger-Album „Fragile Future“ dieses Thema zur Genüge aufarbeitete, muss nicht jetzt das Thema Suizid herhalten um mit viel Schmalz in der Stimme: “I do anything if it would bring you back“ zu verkünden. Klassischer Fehlstart.
Dann machen die vier Herren aber Ernst und die folgenden Songs entpuppen sich als zwar melancholische aber sehr gut gemachte Pop-Songs mit härteren Gitarren. Schon die ersten Takte von „Nervous Breakdown“ packen den Hörer und bleiben mit eingängigen Hooks sofort im Ohr, die Weinerlichkeit in der Stimme wird glücklicherweise zurückgenommen und spätestens mit dem New Wave-lastigen „Drive“ und seinen schönen Keys sollten HAWTHORNE HEIGHTS den Hörer auf ihre Seite ziehen. „Gravestones“ mit Steel-Guitar und Songwriter-Appeal erinnert zwar an eine Mischung aus „Come On Eileen“ von den DEXY MIDNIGHT RUNNERS und Terry Lee Hale, läuft aber ebenfalls gut rein, „Broken Man“ endlich mal mit etwas prominenterer Gitarre und radiotauglich rockend. Danach flacht „Skeletons“ aber leider etwas ab, die nächsten zwei Songs sind locker verzichtbar, „Picket Fences“ ist dann eine kleine schmierige Ballade, die auch eine Kuschelrock-CD beehren könnte. „Here I Am“ rockt ganz gut und hat sekundenlang so etwas wie harte Gitarren zu bieten, „Hollywood And Vine“ wieder mit leichter New Wave-Kante, die der Band ausgesprochen gut steht und etwas an die fantastischen MILEMARKER erinnert. Der Rausschmeißer „Boy“ dann leider wieder Heulsusentum hoch drei, hart wie Soft-Eis und schmierig wie Grüne Seife, ach, ich bin ungerecht, das ist wohl einfach ein Love-Song.
Bleibt abschließend noch nüchtern festzuhalten, dass es das EKG-Piepen am Ende von „Broken Man“, das in einen langgezogenen Ton bei Herzstillstand übergeht, in der Realität nicht gibt. Da herrscht dann Stille.
FAZIT: Mit Hardcore und HAWTHORNE HEIGHTS verhält es sich in etwa so wie mit Starkbier und Kölsch, die Band hat aber unbestreitbar Pop-Appeal und einen ganzen Sack voll Ohrwürmer auf „Skeletons“ versammelt. Für den Metaller und Liebhaber harter Musik ist das hier sicher nichts, zum Knutschen mit der neuen Freundin, die NAPALM DEATH besser erst später kennenlernen sollte, aber genau richtig.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.10.2010
Matt Ridenour
JT Woodruff, Micah Carli
JT Woodruff, Micah Carli
JT Woodruff
Eron Bucciarelli
EMI/Wind-Up
42:11
29.10.2010