Nein, es ist kein gutes Zeichen, wenn ich bei meinem iPod den Equalizer von meiner Standardeinstellung "Rock" auf "off" stellen muss, weil ansonsten zu befürchten ist, dass die Kopfhörer dem Sound dauerhaft nicht standhalten. Ähnlich verhält es sich mit "Invictus", dem sechsten Album der Metalcore-Institution HEAVEN SHALL BURN, wenn man es im Auto hört. Dreht man die Lautstärke hoch, weil auf der Autobahn der Motorenlärm der alten Möhre immer lauter wird, so hat man Angst um die Lautsprecher, wenn man es zu leise hört, gehen in der massiven Soundwand alle Details im Matsch verloren. Das Problem ist klar: die überaus fette Produktion, die man sich selbst in Tue Madsens Antfarm Studios verpasst hat, mischt munter im leider immer noch grassierenden "Loudness War" mit.
Hat man es dann allerdings hinbekommen, die Lautstärke so zu regeln, dass man möglichst viele Einzelheiten vernimmt, so stellt man fest, dass HEAVEN SHALL BURN sich mit dem dritten Teil der "Iconoclast"-Reihe in erster Linie treu geblieben sind. Will heißen, dass es todesmetallischen Metalcore auf hohem songschreiberischen Niveau zu hören gibt, der mit einem sehr ausgewogenen Verhältnis aus Melodie und Brutalität punktet. Das kennt man, das mag man - oder auch nicht. Neu sind vor allem die elektronischen Elemente, die in "Combat" und im grandiosen "The Lie You Bleed For" zum Tragen kommen und dem Sound der Band eine kleine, aber feine neue Facette verpassen. Interessant in dem Zusammenhang ist auch, dass die beiden Nummer außerdem mit ungewohnt harschen Black Metal-Passagen aufwarten. Ein weiteres Novum ist der Gesang bei "Given In Death", hier wechselt sich Marcus nämlich mit Sabine Weniger von DEADLOCK ab. Der Song ist sicherlich einer der ungewöhnlichsten (und kommerziellsten) in der Geschichte von HEAVEN SHALL BURN, das Ergebnis gefällt aber gut.
Die in Richtung skandinavischer, melodischer Death Metal tendierenden "Return To Sanity" und "Buried In Forgotten Grounds" sind eine willkommene Abwechslung zu klassischen Metalcore-Knüppeln wie "I Was, I Am, I Shall Be" oder "Against Bridge Burners". Sonderlob gibt es außerdem für den superben Refrain im Opener "The Omen", für den Fans alter IN FLAMES heutzutage wohl töten würden. Gewohnt hochwertige Kost haben HEAVEN SHALL BURN auch wieder lyrisch zu bieten, Themen wie Kindersoldaten, Burn Out im Berufsleben oder die Geschichten von historischen Persönlichkeiten wie Augusto Pinochet, Lev Kopelev und Max Hermann-Neiße sind alles andere als gewöhnlich und zeigen, wie viel Wert die Thüringer auf das geschmackvolle Gesamtpaket legen, dass sie stets gekonnt aufs neue schnüren.
FAZIT: Mit leichten Modifikationen im Sound sorgen HEAVEN SHALL BURN dafür, dass auch Langzeitfans auf "Invictus" etwas Neues zu entdecken haben, ansonsten ist alles beim Alten geblieben. Mit gewohner Kreativität und routinierter Qualität erkämpft man sich zwölf wohlverdienete Punkte, von denen man wegen des alles andere als perfekten Sounds allerdings auch wieder einen abziehen muss.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.05.2010
Eric Bischoff
Marcus Bischoff
Maik Weichert, Alexander Dietz
Matthias Voigt
Century Media
45:09
21.05.2010