Dass Michael Weikath mit der klischeetriefenden Metalszene auf dem Kriegsfuß steht, wissen wir - dass er mit seinen Spitzen die Fans manchmal vor den eisernen Kopf stößt, geschieht zwangsläufig, da er sich nicht zu blöde ist, übers Ziel hinauszuschießen. Man kann es drehen und wenden, wie man will: HELLOWEEN werden an den "Keeper"-Scheiben gemessen und allenthalben von der totalen Reinheitsfraktion ob ihrer rohen Debüttaten geschätzt. Beides ist häufig zu kurz gedacht, denn die mittlere Ära Deris (bis zum Gipfel "Better Than Raw") sowie - kecke Behauptung - die grenzgeile Melodic-Scheibe "Pink Bubbles Go Ape" sind weitere Beispiele dafür, dass Helloween guten Metal ohne (!) Scheuklappen spielen können, ohne mit oberflächlichem Schund der post-Hammerfall-Zeitrechnung auf eine Stufe gestellt zu werden. Dies wird und wurde in den Medien stets verzerrt wiedergegeben. Die Band hält ihre eigene Falschdarstellung offenbar für die Realität und geht mit Absonderlichkeiten wie dieser Jubiläumsscheibe dagegen an ... als Schattenboxer sozusagen.
Eingedenk all dessen gerät "Best Of 25th Anniversary" wenn nicht zum Ärgernis, so doch zu einer überflüssigen Angelegenheit. Man braucht seine Überlegenheit nicht mit Zunge-in-Backe-"Witzischkeit" herauszukehren, wenn man einmal Killer wie "Push" geschrieben hat oder auch schöne Balladen, die hier teilweise vollkommen trivialisiert werden. Der Verdacht beschleicht den Beobachter der neueren Bandgeschichte, das Lineup sei ohne Grapow und Kusch nicht mehr auf der Höhe. Seit deren Ausstieg geraten HELLOWEEN weiter in ein Formtief der Beliebigkeit, was ihre neueren Alben betrifft. Live sind sie eine Bank, wobei man sich an den aktuellen Stücken nicht stößt, allerdings auch nicht zum Jubelschrei (etwa angesichts des "Keeper III"-Schachzugs) anhebt ... aber nun zur Besprechung.
"Dr. Stein" wurde mit Bläsern und Saxophonsolo zum Mainstream-Jazzer aufgeplustert, ohne zumindest an Energie zu verlieren. "Future World" gerät zum seichten Akustikgitarrenrocker mit Flötentönen, den man in dieser Form auch Jethro Tull nicht wünschen möchte, und "If I Could Fly" - auch im Original schon kein Bringer, vereint Loop-Unsäglichkeiten und melodisches Bass-Geschmeide zum Lounge-Feger, bei dem man engumschlungen tanzen kann ... oder auch nicht. Ähnliches geschieht mit "Where The Rain Grows" - vermeintlicher Zeitgeist verhunzt den ursprünglichen Höhrenflug eindeutig.
Für die für die Presse groß herausgestellte "Trilogy" opfert Deris sich dem orchestralen Bombast; Refrains bekommen Schlagerqualitäten, wobei die Klassik-meets-Metal-Skizze im Sinne von Rages erstem "Lingua Mortis"-Experiment zu sehen ist: Bis auf die Rhythmusgruppe überwiegen die Orchesterinstrumente, weshalb sich der "S & M"-Effekt glücklicherweise nicht einstellt. Gekonnt ist das alles - doch wer will es von dieser Band hören? Selbst die ganzen Tributprojekte, die harte Musik auf Bluegrass, Piano oder was auch immer bürsten, braucht kein Mensch - und derlei Nestbeschmutzung auch nicht.
"Eagle Fly Free" ist nicht zerstörbar, gleichwohl Frauengesang das Lied zum klischeeträchtigen Formatsong mutieren lässt, der keinen Radiohörer vergrault. "Perfect Gentleman" hätte einst "Wind Of Change" als charakteristischen "Tschörman"-Pfeif-Rocksong abgelöst, wenn es eine gerechte Welt gäbe; die neue Version ist angesichts des schwachen Reinmetall- Bezugs des Originals wenigstens nicht so ärgerlich. Mehr Schmalz und Chor machen "Forever & One" der ursprünglichen Fassung gegenüber nicht besser oder schlechter, während "I Want Out" den eingesetzten Kinderchor offenbar als "Another Brick In The Wall"-Rückgriff versteht. "Fallen To Pieces" ist der dritte Song im Nu-Jazz-Kaffeehaus-Bunde (selbst das Original gehört nicht zu den Bandklassikern, warum ist's also hier vertreten?), und "A Tale That Wasn't Right" erzählt als üppig orchestrierte Ballade vom Broadway - an dem HELLOWEEN niemand sehen will, sie selbst womöglich auch nicht. Wozu also das alles?
FAZIT: HELLOWEENs Geburtstagstorte schmeckt abwechselnd zu süß oder nach Fisch und Fleisch, wo man nichts als Tortenboden, Guss und wahlweise Schoko oder Frucht haben möchte. Zudem ist die Songauswahl wenig repräsentativ für ein Best-Of-Unterfangen, dass angesichts der Diskographie (ähnliche Compilations, Live-Offerten) nicht notwendig gewesen wäre. Nett gemacht, aber entbehrlich. HELLOWEEN sind offenbar zur Band geworden, die verzweifelt nach Themen sucht und dazu in Büchern blättert, die nicht in ihrer Sprache geschrieben wurden ... Wann kommt das Afrobeat-Tributalbum an Cradle Of Filth?
Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.01.2010
Markus Großkopf
Andi Deris
Sascha Gerstner, Michael Weikath
Dani Löble
Sony / SPV
59:15
08.01.2010