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Ill Niño: Dead New World

Stil: New Metal / Latin Metal

Cover: Ill Niño: Dead New World

Hat die Verschmelzung von lateinamerikanischer Musik und Metal wirklich nicht mehr zu bieten als das hier?

Ill Niño waren mal – lang, lang ist's her - ein deftiges, ikonisches Ausrufezeichen im früheren New-Metal-Meer (das man heute eher als Pfütze kennt). Zu verdanken hatten sie das dem Alleinstellungsmerkmal "Latino-Metal" – KORN hatten ihren tiefgelegten Bass und die Bagpipes, LIMP BIZKIT hatten Wes Borlands Kostüme und Fred Dursts Attitüde, Ill Niño eben den Exotenbonus. "Revolution Revolución" war ein kraftvolles, dreckiges Debüt, vergleichbar mit LIMP BIZKITs "3 Dollar Bill, Y'All $", "Confession" dann ein feingetuntes, abgerundetes und perfektioniertes Hitalbum, das die Exklusivität der Flamenco-Elemente erkannte und angesichts des stark wachsenden Marktes folgerichtig weiter in den Vordergrund setzte.

Dann kamen "One Nation Underground", die "Undercover Sessions"-EP und "Enigma" und auf einmal war all das Gefühl der Innovation flöten gegangen. Ill Niño verfügten immer noch über ihr Alleinstellungsmerkmal, denn merkwürdigerweise ist es nie einer anderen Band gelungen, in das Fahrwasser der Band aus New Jersey einzutauchen und dort zu überleben. Einen Ill Niño-Song riecht man eine Meile gegen den Wind, so weit hat sich nichts geändert. Nur ruht man sich seit "One Nation Underground" ein wenig auf dem eigenen Monopol aus. STATIC-X machen das zwar auch, aber die dürfen das, die sind ja schließlich statisch. Von einer Truppe allerdings, die Metal-Riffs mit Salsa-Rhythmen, Flamencogitarren, teils spanischem Gesang und der schillernden Vielfalt lateinamerikanischer Percussion akzentuiert, muss man mehr Abwechslung erwarten können.

Der Wille war immer gegeben, aber das "Undercover Sessions"-Experiment fiel belanglos aus und das Gefälle auf dem unentschlossenen "Enigma" war erschreckend: Zum einen hauten die Herren ein fiebrig-giftiges Teil wie "Compulsion Of Virus And Fever" raus, zum anderen eine grässliche Schmonzette wie "Me Gusta La Soledad".

Daraus immerhin scheint man seine Lehren gezogen zu haben: "Dead New World" ist nicht mehr ein solches Nebeneinander von Hart und Soft, das so klingt, als sollten mehrere Zielgruppen gleichzeitig angesprochen werden. Im Ganzen bieten Ill Niño auf ihrem neuen Werk einen in sich kohärenten, aber ganz schön hässlichen Pixelbrei feil, der mit ehemaligen Hitwundern wie "What Comes Around" und "How Can I Live" allenfalls noch die Eltern gemeinsam hat.

Das wäre vielleicht noch zu verschmerzen, wenn man die Kohärenz beibehalten würde (insbesondere bei der nicht gerade langatmigen Laufzeit), aber was hat dann das SMASHING PUMPKINS-Cover "Bullet With Butterfly Wings" dazwischen zu suchen? Mit vollkommen andersartiger Akzentuierung sticht es aus dem Restfeld unangenehm heraus. Zur falschen Zeit am falschen Ort: Alleine schon durch seine Platzierung schlägt die Interpretation fehl.

Nicht, dass der Rest vom fest so viel hochklassiger wäre. Härter und konsequenter als zuletzt präsentieren sich Ill Niño, aber wenn man fester in den Kartoffelbrei schlägt, wird da nicht zwangsläufig ein Kunstwerk draus. Weshalb Drummer Dave Chavarri vom progressivsten Album spricht, das man je gemeinsam aufgenommen habe, erschließt sich nicht wirklich. "God Is Only For The Dead" eröffnet mit prototypischen Metalcoreanleihen, bis endlich die Titelzeile gesungen wird und sich erfreulicherweise zumindest die Trademarks wieder einstellen – genug Metalcore hat's dieser Tage auch ohne Ill Niño. "Proggy" ist daran noch nichts, eher folgt in "The Art Of War" animalisches "Your War"-Gegrunze, das auffallend an die SOULFLY-Primitivlinge erinnert, abgeschmatzt mit "A-a-a-ah"-Chören nach DISTURBED.

Nachfolgend driftet "Dead New World" in eine astreine Selbstkopie, nur dass alles eine Spur böser aufgezogen wird. "Against The Wall" hat beispielsweise ein cooles Riff zu bieten, endet aber in einem typischen Baukastenrefrain, den Ill Niño jederzeit aus dem Gürtel hätten schütteln können. "Mi Revolucion" klingt oldschool, ist schön kraftvoll und hat coole Percussions vorzuweisen, hängen bleibt aber nichts. "Bleed Like You" holt den Groove raus und geht dann wieder in den Baukastenrefrainmodus. So geht das zuverlässig weiter, bis eben das PUMPKINS-Cover seine Stinkbombe zündet.

FAZIT: Nach dem kunterbunten Puzzlestück "Enigma" fressen Ill Niño auch mal wieder Dreck. Mir persönlich gefällt das in der Summe besser, denn ich möchte von einer solchen Band keine schmalzige Latin-Folklore hören, sondern knallharte Heavyness mit griffigen Refrains. Andererseits beschränkt sich der Innovationsgrad bequem auf das Hinzufügen von mehr Härte, was gerade bei einer Band mit einer noch derart unbewohnten Nische unverzeihlich ist. Ill Niño sollten verdammt noch mal für härtere Metalspielarten die Boten multikultureller Einflüsse aus dem Süden Amerikas sein. Stattdessen veröffentlichen sie belanglose Alben wie "Dead New World", die man gut hören und gut vergessen kann.

Punkte: 6/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.11.2010

Tracklist

  1. God Is For The Dead
  2. The Art Of War
  3. Against The Wall
  4. Mi Revolución
  5. Bleed Like You
  6. Serve The Grave
  7. If You Were Me
  8. Ritual
  9. Killing You, Killing Me
  10. How Could I Believe
  11. Bullet With Butterfly Wings (Smashing Pumpkins Cover)
  12. Scarred

Besetzung

  • Bass

    Lazaro Pina

  • Gesang

    Cristian Machado

  • Gitarre

    Ahrue Luster (Lead), Diego Verduzco (Rhythmus)

  • Schlagzeug

    Dave Chavarri

  • Sonstiges

    Daniel Couto (Percussion)

Sonstiges

  • Label

    AFM Records

  • Spieldauer

    45:17

  • Erscheinungsdatum

    29.10.2010

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