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Laokoongruppe: Staatsoper

Stil: Avantgarde Pop?!

Cover: Laokoongruppe: Staatsoper

Bei uns landen manchmal Scheiben, da fragt man sich: „Was zum...?“

So erging es mir auch bei „Staatsoper“, dem neuen Album der LAOKOONGRUPPE. Das geht schon beim Cover los, welches die Wiener Staatsoper, aus Trachtenstoff nachgenäht, zeigt, und nach dem Einlegen des Rundlings wird klar, dass auch das Genrekonglomerat bizarrer nicht sein könnte. Karl Schwamberger, der diese „Band“ in Personalunion darstellt und nur hier und dort mal einen Gastmusiker mit ins Boot holt oder live von Mitmusikern aus Fleisch und Blut flankiert wird, fordert den Hörer hier gnadenlos heraus.

Auf der einen Seite stehen modernere Stile wie Avantgarde Pop, progressiver Techno, Videospielmusik, Lo-Fi-Indie und allerlei experimentelles Geplinker, Gefiesel und Geknatter, dem gegen über stehen allerdings Schlager, Blasmusik, Heimatmusik und Klassik. Liest sich krank und klingt auch so, doch wer nun bei letzteren Genres ans Musikantenstadl denken muss, darf beruhigt durchatmen, denn Schwamberger benutzt diese Elemente in meist bitter-zynischenm und galgenhumorigem Kontext. In Verbindung mit den eindringlichen politischen und sozialkritischen, in astreinem Hochdeutsch vorgetragenen Texten, die diesen Zynismus und Sarkasmus auch in lyrischer Form vermitteln, entsteht ein Stück Ton- und Textkunst, das so einige Liedermacher oder thematisch ähnlich gelagerte Bands aus anderen Genres, sprich alles von HANNES WADER und ATTWENGER bis zu ernsteren DIE ÄRZTE manchmal wie angepasste Lutscher wirken lässt.

Man höre sich nur mal das beschwingt und breit grinsend groovende „Kapital Chacha“ an, das mit einem von vielen Beispielen aufzeigt, wie krank, kaputt und fremd die Welt eigentlich mittlerweile ist. Und jeder weiß es. Und kaum eine Sau ändert an diesem Zustand etwas. Der Kontrast zwischen Aufbruchstimmung und Resignation ist sozusagen die Schiene, auf der man 74 Minuten lang in einer Straßenbahn sitzend durch die Innenstadt seiner Wahl fährt. Da steht das weinende, von Mitschülern ausgelachte und verprügelte Schulkind in verwaschenen KiK-Lumpen am Straßenrand und sammelt seine regennassen Schulsachen ein, während der gutverdienende Schlipsträger mit Laptop unter dem linken Arm, soeben gekaufter Schampusflasche in der rechten Hand und dem zwischen Ohr und Schulter geklemmten Blackberry künstlich lachend und gehetzt an dem Kind vorbei läuft und gar nicht merkt, dass er gerade auf das Matheheft des Kleinen gelatscht ist. Da leuchten die Logos der großen Ketten in all ihrer Aufdringlichkeit, während in den Schaufenstern der in der Stadt etablierten, seit über einhundert Jahren für einen guten Namen und funktionierenden Familienbetrieb stehenden Fachgeschäfte Räumungsverkaufs-Plakate in Neonfarben prangen.

FAZIT: Vielleicht ist „Staatsoper“ für einige Bequemhörer und Tellerrandophobiker „too much“ und anhand der sonderbaren Stilmixtur eher etwas für absolute Minderheiten, doch das ändert nichts daran, dass Schwambergers LAOKOONGRUPPE künstlerisch höchst Wertvoll ist. Alles andere ist Geschmackssache.

Neben den üblichen Versionen auf CD und als Download erscheint "Staatsoper" auch als Doppelvinyl inklusive der CD.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.11.2010

Tracklist

  1. Es tickt
  2. Kapital Chacha
  3. Motiv Mittel Gelegenheit
  4. Die Sonne lacht über uns °
  5. Gott, Stevie Wonder und der Vogelstimmenimitator ²
  6. Bambiland
  7. Bettenland ²
  8. Diskoland
  9. Die bessere Melodie (feat. Parkwächter Harlekin) *
  10. Abends kommen die Landschaftsmaler ° ³
  11. Wir kommen von der Linkfarm °
  12. Schulterschlusschor
  13. Gratia plena
  14. Wenn wir Toten erwachen
  15. Knochenland
  16. Der Preis der Propaganda

Besetzung

  • Sonstiges

    Karl Schwamberger (alles), *David Kleinl (zweite Stimme), °Oliver Stotz (Gitarre, Mandola), ²Martin Siewert (Lapsteel, Electronics), ³Jens Gerö (Schlagwerk)

Sonstiges

  • Label

    Konkord

  • Spieldauer

    73:79

  • Erscheinungsdatum

    22.10.2010

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