Krudes Intro, aber dann: was zunächst wie die x-te Post-Metal-Band klingt, entpuppt sich wider Erwarten als originelle und bewegende Musik, die sich nicht allzu einfach in eine einzige Schublade stecken lässt.
"Send In The Scouts" zeigt die Dänen gleichwohl im vertraut schwermütigen Klangkontext von Riffgitarren, Hallfahnen und wuchtigen Drums, doch so ganz möchte Frontmann Byrialsens klarer Gesang, der diese Bezeichnung tatsächlich verdient hat, sowie sein farbenreiches Keyboardspiel - Pianosounds bis an Electronica angelehntes Flirren - nicht zum Genretypus des bärtig glatzköpfigen Griesgrams mit Knurrstimme und Studienplatz passen. LIS ER STILLEs Songs sind Kunstwerke, die durch einstweiliges Falsett etwas androgyn wie RADIOHEAD oder MUSE wirken, obschon die Band nicht wirklich britisch oder nach gegenwärtigen Vorstellungen "hip" klingt. "Recalling The Color" orgelt fast archaisch proggy und gibt sich so verspielt, dass die Einflüsse der Gruppe kaum allein in der Rockmusik der letzten zehn Jahre liegen können. Mittendrin wird es regelrecht klassisch; man wähnt Martin am Flügel, wobei ihm gänzlich die Worte fehlen und dennoch kein dröger, mutmaßlich epischer Instrumentalschnarcher dabei herauskommt. Das letzte Drittel bestreitet der Mann dann doch auf warmem Tastengrund mit gehauchten Sätzen, ehe die gesamte Band wieder einsteigt und dem Track zu einem fulminanten Ende verhilft. Auch die fast-Viertelstunde "Shards Of The Ending" ist keineswegs Scherbenwerk, sondern ein durchweg stimmig komponiertes Drama mit theatralischen Vocals und bleiernen Rhythmen. Varieté kommt dem Hörer in den Sinn, wiewohl ohne komödiantische Töne und als Aufführung in einem großen Iglu.
"Through The Quest Of Your Designs" steuert den Siebzigern stets nahe einem energischen Höhepunkt entgegen, verhallt aber in der Stille der kurzen Weise "Break Or Seal". Das anschließende "The Real Children" kommt beinahe so cool lakonisch wie Nick Cave - zumindest gesanglich, während die Musik eine Entwicklung vom Schleppenden ins Territorium neuzeitlicher Artrocker vollzieht und am Ende mit einem an Black Metal angelehnten Blast versehen wurde - tolle Suppe, und doch immer labend statt verstörend, erhebend statt negativ. "The Painted" subsumiert die Stilbreite von LIS ER STILLE noch einmal innerhalb von über zwölf Minuten. Dazu gehören übrigens an keiner Stelle Refrains, die man wiederum nicht vermisst, weil man den Musikern schlicht gerne angespannt zuhört; die Stringenz ihrer mäandernden Kompositionen beeindruckt, auch wenn am Ende drei Indizes keine wirklichen Lieder bezeichnen und "The Collibro" demnach etwas unverbindlich enden lassen. Dennoch: eine herausragende Veröffentlichung.
FAZIT: LIS ER STILLE haben sich mit ihrem bereits dritten Album heimlich und gar nicht so leise dort eingenistet, wo sich die vermeintliche Elite mit dem Post-Präfix in weiten Teilen zu bequem und selbstgefällig bewegt: an der Spitze eines polaren Gebirges, wo sie ein Feuer gegen Langeweile und zersetzende Pseudo-Intellektualität innerhalb angeblich progressiver Musikszenen entfacht hat. Tut euch etwas Gutes, schneidet ein Loch ins Eis und taucht unterm Kopfhörer in "The Collibro" ein, denn die Scheibe ist toll und wird es auf lange Sicht hin bleiben.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.08.2010
Asbjørn Helboe
Martin Byrialsen
Tue Schmidt Rasmussen
Martin Byrialsen
Jon Gotlev
VME / Twilight
66:28
05.09.2010