Nach dem formidablen, selbstbetitelten Debütalbum der Bergener war meine Spannung auf „Songs From A Solitary Home“ riesig. Werden sich MAJOR PARKINSON selbst kopieren? Weiterentwickeln? Normaler oder Bekloppter? Um es gleich selbst zu beantworten. Nein, ja, und statt oder.
Das neue Werk mit passenden Worten zu greifen, fällt wie auch beim Erstling nicht gerade leicht, denn der Crossover der Norweger ist erneut ein kompletter Regenbogen des musikalischen Farbspektrums. Es werden die verschiedensten Früchte in einer großen Schüssel zu einem wilden Obstsalat verrührt. Früchte Namens Rock, Indie, Surf, Saloon- und Zirkusmusik, Punk, Chanson, Jazz, Cabaret, TOM WAITS-artigem Singer/Songwriter-Stoff, Honky-Tonk, MR. BUNGLE-Wahn, LIBERTINES, FRANZ FERDINAND, SERJ TANKIAN, Motown, Prog, Folklore diverser Nationen, Charleston, Metal, Boogie und achleckmichdochwasnichtalles. Wahlweise mit Krokant, Schokostreuseln, Sardellenpaste oder rostigen Nägeln.
Doch niemals ist das Ergebnis eine „Hauptsache anders“-Scheibe, sondern eine völlig selbstverständliche Verschmelzung all dieser unzähligen Ingredienzien, wobei die rund sechsundvierzig Minuten respektive dreizehn Songs fast schon etwas von einem Musical haben. Oder einem Theaterstück. Oder einem Soundtrack zu einem absurden Schwarzweiß-Stummfilm. Das Sextett schickt den Hörer dabei auf eine Achterbahn der Gefühle. Da gibt es diese fast schon albernen Passagen, die einem das Grinsen ins Antlitz meißeln. Da hat es diese unfassbar schönen Melodien, die einem einen wassermelonengroßen Kloß in den Hals und Pipi in die Augen treiben. Und diese überdrehten, fast punkigen Ausbrüche, die einen die Schrankwand anspringen lassen. Und diese Grooves, die die Beine kitzeln wie die Kakerlaken Daniel Küblböck im Dschungelcamp. Und die stockfinsteren Passagen, die einem die Luft aus der Lunge pressen. Oder diese lässigen Desperado-Gitarrenlicks, die jeden Nichtraucher bekehren und einem den Wunsch suggerieren, sich 'nen Gaul zuzulegen, mit dem man dann – Fluppe im Mundwinkel - gen Sonnenuntergang reitet. Oder die an 40er- und 50er-Filmmusik erinnernden Stellen, in denen man sich mit Anzug und Pomade, mit einer fesch gekleideten Lady in hübsch ausladendem Kleid über die Tanzfläche wirbeln sieht.
Im Vergleich zum Debüt sind die Kompositionen noch anspruchsvoller und noch komplexer ausgefallen, gleichzeitig aber auch einprägsamer. Auch die Spannweite der gegensätzlichen Emotionen wurde noch weiter auseinander gezogen, fast so weit, dass sich die Enden des Bogens wieder berühren. Ich wiederhole mich ja nur ungern, aber wie ich sinngemäß bereits beim Scarred For Life-Magazin über den Erstling schrieb, zelebrieren MAJOR PARKINSON ihre Musik als das, was Musik eigentlich sein sollte: Kunst.
Jon Ivar Kollbotns Stimme bedarf inmitten dieses eh schon unkonventionellen turbulenten Treibens sicherlich etwas Gewöhnung, doch es dauert nicht lange, um festzustellen, dass keine anderen Vocals besser zu dem actiongeladenen Stilpotpourri namens „Songs From A Solitary Home“ passen würden als die seinen. Egal, ob tief und eindringlich, kindlich und verletzlich, aggressiv-psychotisch, cool abgehangen, beschwingt, manisch, selig, klagend – der Kerl ist am Mikrofon der geborene Schauspieler – oder noch besser: Ein Chamäleon. Aber auch die fünf Mitmusiker brillieren mit einer immensen Kreativität und Musikalität, und selbst nach gefühlten sechzig Durchläufen offenbaren sich noch immer Details, die vorher irgendwie noch nie dagewesen zu sein schienen.
Für „Songs From A Solitary Home“ konnten die sechs zwar nicht wiederholt Sylvia Massey zur Klangveredelung gewinnen, aber mit Eddy Schreier vom Oasis Mastering Studio in Kalifornien haben MAJOR PARKINSON wieder mächtig geklotzt. Als ich las, dass Schreyer schon für CHRISTINA AGULERA, PRINCE und LADY GAGA die Knöpfe drehte, kamen mir Zweifel, ob das nach etwas klingen könne, aber als dann die ersten Noten erklangen, waren diese Zweifel wie weggeblasen, denn der Sound ist schlichtweg perfekt: Transparent, fett, organisch, lebendig, vielschichtig, und er umhüllt den Hörer komplett. Bei der Wahl des Artworks sind sie Martin Kvamme, der unter anderem grandiose Arbeit für FANTÔMAS, TURBONEGRO, IMMORTAL, JR EWING, ISRAELVIS, STONEGARD und DARKTHRONE ablieferte, treu geblieben: Abstrakt, stilvoll und gleichzeitig wunderschön ist es demnach geworden, das schicke Digipak.
FAZIT: 2010 kamen unglaublich viele erstklassige Alben auf den Markt, denen ich fast fünfzehn Punkte gegeben hätte. Doch irgendwie hatte ich da so ein Gefühl, dass mein perfektes Album dieses Jahres erst noch erscheint. Und es kam so: Hier ist es.
Punkte: 15/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.10.2010
Eivind Gammersvik
Jon Ivar Kollbotn
André Lund, Alf Borge
Lars Bjørknes
Jens Aasmundseth
Waggle Daggle Records
46:06
15.10.2010