MARTEN KANTUS ist einerseits offensichtlich ein Perfektionist, andererseits ein Multiinstrumentalist wie er seinesgleichen sucht. Oder besser, langsam kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass es „seinesgleichen“ überhaupt noch geben sollte. Ob ein OLDFIELD oder ein FRIEDEMANN, ein KING OF AGOGIK oder ein VOLLENWEIDER – alle reichen um Längen nicht an die Instrumentenvielfalt heran, die KANTUS beherrscht. Außerdem haben sie in gewisser Weise auch ihr „Lieblingsinstrument“, also Gitarre, Schlagzeug oder Harfe, welches dann ihre Alben dominiert. Nicht so KANTUS! Der Mann spielt, und zwar perfekt, Harfe, Gitarren, Tasteninstrumente jeglicher Art, Flöten, Saxofone, Klarinette, Xylofone, Schlagzeug, Glockenspiel und so weiter und so fort!
Doch nicht nur das. Wer diese Aufzählung genauer betrachtet, dem müsste auffallen, dass hier nur noch die Streichinstrumente fehlen. Und was macht dieser in Berlin lebende Tausendsassa, um solchen „Makel“ zu überbrücken? Er dirigiert ein virtuelles Orchester, das genau die Harmonien zu seiner Musik beiträgt, die sonst durch ein klassisches Orchester erzeugt worden wären.
Seit 2003 bringt KANTUS nunmehr im Jahreszyklus (mindestens) eine CD heraus, der immer ein Konzept zugrunde liegt und die man wie immer über seine Homepage beziehen kann. Verblüffend dabei ist auch seine „Verkaufsstrategie“, die gar keine ist, sondern eher ein Spendenaufruf. Jeder, der seine CD ordert, erhält von ihm zusätzlich einen netten kleinen Zettel, auf dem er seine Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass der Besteller die Musik mag und sie ihm gefällt. Dann kann man entscheiden, ob und in welcher Höhe man einen Geldbetrag auf das auf dem Zettel angegebene Konto überweist. Und ich garantiere hier und heute jedem, der sich diese CD ordert und schon immer die Musik von PIERRE MOERLEN’S GONG oder MIKE OLDFIELD oder VANGELIS oder die zuvor bereits erwähnten Musiker mag bzw. auch mit klassischer Musik was anfangen kann, sich moralisch verpflichtet fühlt, für dieses liebevoll in Eigenregie hergestellte und absolut perfekt produzierte Kunstwerk seinen Obolus zu leisten. Diese Musik ist ein Geschenk für die Ohren, sie sollte aber auch eine Botschaft sein, wie faszinierend es ist, Kunst anzubieten, bei der der Künstler dem Rezipienten die völlige Freiheit überlässt, den Wert seiner Kunst mit einem symbolischen €-Wert zu vergüten.
Was also bekommt er in diesem konkreten Falle mit „Rotorhead“ als Gegenwert?
Bevor die CD überhaupt im Player rotiert, verrät einem das Cover zugleich den konzeptionellen Hintergrund der Musik. KANTUS selber meint dazu: „Das gesamte Album ist aus einem langen elegischen Thema abgeleitet, das im Stück ‚Helicopter’ exponiert und durchgeführt, in anderen Titeln wieder aufgegriffen und umgedeutet wird. Die Vorgehensweise erinnert an die Sonatenhauptsatzform der klassischen und romantischen Musiktradition, und in der Tat ist ‚Rotorhead’ mehr Kunstmusik als Rock.“
Damit ist erst einmal klar, dass diese musikalischen Drehflügel des Kantus-Hubschrauber völlig ungeeignet für den andauernden Kriegseinsatz in Afghanistan sind. Hier wird niemand bedroht oder mit aggressiven Klängen verunsichert, sondern statt eines musikalischen Kriegshubschraubers präsentiert uns der 43-jährige Berliner einen wohl klingenden Rettungshubschrauber, der die irdischen Abgründe in Richtung himmlischer Höhen verlässt, um dort mit den Vögeln Frieden zu schließen, statt auf Menschen, die sich so gerne die Köpfe einhauen, zu ballern. Und durch den besonders häufigen Einsatz der Klarinette fühlt sich der Hörer des Öfteren sogar an Klezmer-Musik erinnert. In der Musik von Kantus findet so etwa alles und jeder seinen Platz, nur keine Kriegstreiber. Da kommt einem sogar, zumindest mir, Tucholsky in den Sinn, der mit seinem Zitat: „Alle Soldaten sind Mörder.“, heutzutage sogar mehr denn je Recht zu behalten scheint. Bei KANTUS ist nichts mörderisch, eher versöhnend … Musik für Pazifisten eben! Der Versuch einer Vereinigung von Klassik und progressivem Rock. Ein gelungener Versuch! Übrigens hatten ja ganz ähnliche Versuche DEEP PURPLE mit „April“ und PINK FLOYD mit „Atom Heart Mother“ unternommen. Und alle, die sich dafür begeistern können, werden von „Rotorhead“ ebenso begeistert sein, wohl auch, weil besonders im 20-minütigen Longtrack „Helicopter“ deutliche Erinnerungen an die Mutter mit dem Atomherzen wach werden. Wobei in dieser Beziehung auch einige Parallelen zu Kantus’ Album „Catwalk“ zu erkennen sind. Nicht nur dass es sich mit der Thematik des Fliegens beschäftigte, sondern auch hier dieses mütterliche Hörgefühl auftauchte. Hinter dem besagten „Catwalk“-Album landet „Rotorhead“ auf meiner persönlichen Kantus’-CD-Bestenliste überzeugend auf dem 2. Platz. Ein herrliches Album also.
FAZIT: „Rotorhead“ beschäftigt sich laut KANTUS mit dem Phänomen der Drehbewegungen und einigen Ableitungen daraus: es geht um Wiederkehr und Wiederholung, Aufregung, Revolution, Schwindel, Hypnose, Be- und Entschleunigung. Aber auch um viel Harmonie und Vertrautheit. Musik für ein besseres Zeitalter! Oder wie wir auf der CD lesen können: „Musik für Erwachsene und Unschuldige. Aber nicht für die aufgeregt Jugend.“ Also, ihr alten Säcke, hört unbedingt mal in diese Scheibe hinein. Vielleicht empfindet ihr ja die gleiche Begeisterung wie ich!
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.04.2010
Marten Kantus
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45:29
01.04.2010