“Split your lungs with blood and thunder
When you see the white whale
Break your backs and crack your oars men
If you wish to prevail”
Von CLUTCH-Fronter Neil Fallon mehr gegrölt als gesungen, lässt dieser Part die Illusion eines alkoholisierten, größenwahnsinnigen Kapitäns aufleuchten, der irre genug ist, um selbst seiner eigenen Mannschaft beim kleinsten Ungehorsam die Rüben abzusäbeln.
Was zählt, ist der weiße Wal. Tot will er ihn sehen, Ahab, der große Kapitän mit dem Elfenbeinfuß. Das Monster muss blutend auf den Meeresgrund sinken, koste es, was es wolle...
Herman Melvilles Jahrhundertgeschichte „Moby Dick“ ist eine der eindrucksvollsten Dramen englischsprachiger Literatur und fasziniert heute noch viele Künstler und Musiker. So auch die amerikanische Metalband MASTODON, die schon mit ihrem kraftstrotzenden Debut „Remission“ von sich Reden machte. Unglaublich, diese doppelläufigen Gitarren, diese urgewaltigen Riffs, diese Drums (und deren unmenschliche Rolls auf der Snare!) und dieser keifende, böse Schrei-„Gesang“. Doch aus heutiger Sicht agierten die vier wüst dreinblickenden Typen auf „Remission“ noch arg mit bekannten Sludgemetal-Mustern.
Erst als sich Sanders, Hinds, Kelliher und Dailor für ihr nächstes Album einem festen Konzeptgefüge unterwarfen, wurde auch dem kaltschnäuzigsten Schreiberling bewusst, dass MASTODON mehr drauf hatten als alle hochgelobten Bands des „New Wave of American Heavy Metal“, als alle LAMB OF GODs und alle CHIMAIRAs zusammen.
Der Nachfolger von „Remission“, „Leviathan“, greift thematisch oben genanntes Werk von Herman Melville auf, so wie es AHAB mit ihrem „Call Of The Wretched Sea“-Album zwei Jahre später taten. „Sehen“ kann man das Konzept schon am aufwendigen Artwork von Paul A. Romano: ein liebevoll gemaltes Bild von Moby Dick, ein eigener Schriftzug und ein edles Design, das an alte, chinesische Farbholzschnitte erinnert – MASTODON knüpfen hier an die 70er Jahre an, als das Cover einen ikonenhaften Charakter besaß und sofort mit der Musik identifiziert wurde. Der Verpackung ist es wohl auch zu verdanken, dass das Album bisher eines der erfolgreichsten Metalveröffentlichungen der 2000er geworden ist.
Musikalisch ist „Leviathan“ eine wahre Wundertüte. Kein Song – mit Ausnahme von „Hearts Alive“ – überschreitet die Fünf-Minuten-Marke, kein Song gleicht dem anderen. Und „Blood And Thunder“ als Opener knallt dem Hörer erst einmal den geilsten MASTODON-Riff um die Ohren, den er je von der Band zu hören bekommen wird. Leicht funkig mit bluesigem Einschlag, dröhnenden Verstärkern und in vierfacher Geschwindigkeit wird „Blood And Thunder“ zum echten Metal-Hit, der es einem schwer machen wird, sich durch das restliche Album durchzupflügen.
„I Am Ahab“ ist fast zu kurz für die spieltechnische Raffinesse, die hier hereingesteckt wird. „Seabeast“ entpuppt sich als kratzbürstiges, bekifftes Ungetüm vor dem Herrn, zu dem der schlecht gelaunte Gesang von Troy Sanders und Brent Hinds wie die Faust aufs Auge passt. Die „Ruhe“ zwischen den Riffstürmen wird mit filigranster Gitarrenarbeit überbrückt, die einem das Hirn verdreht.
„Iron Tusk“ ist ein Burner auf Livekonzerten von MASTODON und „Megalodon“, das von Country auf Speedmetal im Sekundentakt umschaltet, vielleicht der schwerste Track, den „Leviathan“ zu bieten hat. „Naked Burn“ döst wieder mit herrlicher Coolness auf Stonerpfaden und „Aqua Dementia“ holt Scott Kelly von NEUROSIS für ein paar Shouts ins Studio. Das macht sich sehr gut als Aufwärmer für das Progungeheuer „Hearts Alive“, das zwar noch nicht so genialistisch tönt wie spätere „The Czar“ oder „The Last Baron“, aber trotzdem eine unheimliche Sogwirkung entfaltet und mit abschließendem ACDC-Gedächtnisriff die Köpfe zum Schütteln bringt.
MASTODON demonstrieren in überschaubarer Spielzeit, dass „Moby Dick“ kein verstaubtes Seemannsmärchen mit erhobenem Zeigefinger ist. „Leviathan“ packt die Keule aus, doch nicht mit stupider Aggression, sondern kalkuliert, verspielt an den richtigen Stellen, widerhakenbewehrt und gleichzeitig hitverdächtig auf der anderen Seite.
Für MASTODON ist dieser Silberling nichts anderes als ein Klassiker. Die CD ist bis zum Rand mit Ideen gefüllt, wirkt aber nicht übersättigt oder überladen. Viel Metal aus allen Nischen und Richtungen wird zusammengerührt – vornehmlich Groove-, Thrash-, Death-, Heavy- und Sludge-Metal – zusammen mit einer rotzigen Punk/Hardcore-Attitüde, künstlerisch wertvoll verpackt, einer Portion Progressive-Rock und jeder Menge Coolness, die man heutzutage oft vermisst.
FAZIT: Schluss mit dem Gelaber, denn... MASTODON ROCKS!
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.03.2010
Troy Sanders
Troy Sanders, Brent Hinds
Brent Hinds, Bill Kelliher
Brann Dailor
Relapse Records
46:58
31.08.2004