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Ganze fünf Jahre ließen sich NEVERMORE Zeit für den Nachfolger zum erfolgreichen sechsten Album “This Godless Endeavor”, so lange wie noch nie zuvor in der Karriere der Band. Die zwischenzeitlichen Erfahrungen mit anderen Projekten und auch die sich verhalten mehrende Kritik scheinen nicht spurlos vorübergegangen zu sein, denn NEVERMORE haben mit Peter Wichers nicht nur den Produzenten des 2008 veröffentlichten Solo-Albums von Sänger Warrel Dane verpflichtet, sondern auf “The Obsidian Conspiracy” einige kleine, aber wirkungsvolle Modifikationen an ihrem Sound vorgenommen. Die Band lässt den Songs mehr Luft zum Atmen und ihrem Sänger mehr Raum zur Entfaltung, anstatt jede kleine Lücke erbarmungslos mit aggressivem Geballer zu stopfen. Dies wird einerseits durch die Kompositionen an sich gefördert, aber auch durch die Produktion, die etwas “luftiger” und lebendiger wirkt als zuletzt, und nicht so technisch und maschinell. So verfügen einige Passagen sogar über einen richtigen Groove, und Tempo und Härtegrad werden öfters variiert. Trotzdem braucht man nicht zu befürchten, Saitenhexer Jeff Loomis würde dafür seine herausragenden technischen Fähigkeiten beschneiden. Er spielt sich weiterhin furios und wie entfesselt durch progressive Thrash-Riff-Monster, nur geht er dabei eben abwechslungsreicher und gezielter zu Werke und setzt auch andere Stilmittel ein.
Ironischerweise ist es aber nun der Frontmann selbst, der den ihm verschafften Raum nicht immer voll ausnutzt. Die ersten beiden Tracks können sich dann auch nicht wirklich durch markante Gesangslinien hervorheben, kein Vergleich zum Auftakt des letzten Albums mit dem Doppelpack “Born” und “Final Product”. Der Gesang folgt hier meist eher den Akkorden und kann sich nicht wie gewohnt absetzen, obwohl beide Songs noch als gutklassige NEVERMORE-Nummern durchgehen. Erst mit “Moonrise (Through Mirrors Of Death)” kann die Band einen richtigen Hit vorlegen. Hier wird vertracktes Riffing in der Strophe und Bridge mit einem gemäßigten, melodischen Refrain kombiniert, und die Stimme schwebt wie gewohnt über der Musik. Dieser Song hätte ebenso auf “Dead Heart In A Dead World” stehen können.
Doch auch die seltsame, psychedelische und verstörend düstere Seite von NEVERMORE, die man zuletzt auf “Dreaming Neon Black” verstärkt auslebte, kommt mit “And The Maiden Spoke” oder “The Blue Marble And The New Soul” nicht zu kurz. Viele ruhige Passagen sorgen für eine entsprechende Atmosphäre, und Warrel Dane klingt hier wieder so emotional und intensiv, wie es ihm kaum jemand nachmachen kann. Da möchte man den Hintergrund seiner Lyrik eigentlich gar nicht so genau wissen... Trotzdem fehlt auch bei diesen Songs oft der letzte Kick, die entscheidende Hookline. Vielleicht waren aber auch die Erwartungen nach seinem grandiosen, mit fantastischen Melodien gespickten Solo-Release “Praises To The War Machine” einfach etwas zu hoch, denn schließlich gehören eher sperrige Stücke immer schon zum Repertoire von NEVERMORE. Mehr oder weniger, je nachdem, welches Album man herausgreift.
Dass der Sänger das Schreiben eingängiger Melodien nicht verlernt hat, beweist er mit “Emptiness Unobstructed”, vielleicht einer der zugänglichsten Songs von NEVERMORE überhaupt. Die Gesangslinien steigern sich unheimlich packend immer weiter, von der akustischen Strophe und Bridge zu einer zweiten, kraftvolleren Bridge, um schließlich im hymnischen Refrain zu gipfeln, ganz im Stile des genannten Solo-Albums. Ähnlich verhält es sich mit “Without Morals”, das härter und Riff-lastiger, aber ebenso melodisch und catchy gehalten ist.
Allerdings muss man zugeben, dass die sehr eingängigen Nummern auf “The Obsidian Conspiracy” etwas zu vertraut wirken. Fast hat man das Gefühl, als hätte Warrel Dane sein Pulver bei der Arbeit an seinem Solo-Album verschossen, bei dem er inspirierter wirkte. Auf dem neuen NEVERMORE-Werk erinnern die wirklich gelungenen Hooks, Melodien und Gesangsharmonien immer ein wenig an seine früheren Arbeiten, andere dagegen wirken sperrig oder zu flach. So bleibt beispielsweise gegen Ende des Albums von “The Day You Built The Wall” und “She Comes In Colors” nicht wirklich viel hängen. Der erstgenannte Track schwächelt sogar musikalisch ein wenig, da die Band sich mit simplem Stakkato-Riffing merklich zurückhält. Dies wirkt wie der Versuch eines geradlinigen, direkt zugänglichen Songs, bei dem man aber leider einen richtigen Refrain vergessen hat. Mit dem Titeltrack klingt “The Obsidian Conspiracy” dann aber wieder deutlich stärker aus. Die Band gibt noch einmal alles und geht härter, schneller und progressiver zu Werke, ohne die Melodien zu vernachlässigen, die vor allem im hymnischen Refrain richtig zur Geltung kommen.
Das Album erscheint zusätzlich in einer limitierten Auflage, die zwei Cover-Versionen enthält: “Crystal Ship” (THE DOORS) und “Temptation” (THE TEA PARTY). Außerdem liegt dieser Ausgabe eine Bonus-Disc mit Gitarren-Lehrvideos und –Tabulaturen zu zwei Songs des Albums bei.
FAZIT: “The Obsidian Conspiracy” stellt wohl das bisher abwechslungsreichste und ausgewogenste Werk von NEVERMORE dar, denn alle Facetten der verschiedenen Phasen der Band sind hier vertreten, so dass sicher kein Fan enttäuscht sein dürfte. Gleichzeitig ist aber auch die logische Konsequenz, dass vermutlich die meisten weiterhin jeweils eines der früheren Alben bevorzugen werden, die stärker in die eine oder andere Richtung tendierten oder diese eben besser, frischer und spannender bedienten. Für mich persönlich klingt “The Obsidian Conspiracy” etwa zur Hälfte genau so, wie ich mir NEVERMORE wünsche, über die gesamte Albumlänge gesehen bleiben aber “Dead Heart In A Dead World” und auch das Soloalbum von WARREL DANE unerreicht. “Dreaming Neon Black” wird dagegen deutlich übertroffen, und im Vergleich mit den letzten beiden Werken wirkt “The Obsidian Conspiracy” deutlich weniger anstrengend, wenn auch in gewisser Weise etwas “gewöhnlicher”. Je nachdem, welche Seite der Band man bevorzugt, kann man all das aber vermutlich genau umgekehrt sehen.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.05.2010
Jim Sheppard
Warrel Dane
Jeff Loomis
Van Williams
Century Media
44:41
28.05.2010