Nick Cave gehört sicher zu den wenigen Lichtgestalten der alternativen Musikszene, die sich tatsächlich mit der hochtrabenden Bezeichnung „Künstler“ schmücken dürfen. Der gebürtige Australier verweigert sich trotz eines nicht unbeträchtlichen finanziellen Erfolgs dem Kommerz und produziert Musik, die, trotz einiger Hits, niemals das Radio-Programm beherrschen wird. Vom lärmenden Post Punk der frühen Tage bis zum wortgewaltigen, morbiden Geschichtenerzählen („Murder Ballads“) der Neunzigerjahre ist Caves musikalische Federführung, nicht nur wegen seiner charakteristischen tiefen Stimme, sofort und eindeutig wiederzuerkennen. Als Romanautor und Dichter feierte der düstere Poet Erfolge, als Soundtrack-Komponist und auch als Darsteller in Andrew Dominiks Western-Charakterstudie „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“, für welche er auch die Filmmusik schrieb.
Zwölf Jahre nach der Erstveröffentlichung im Jahre 1988 erblickt „Tender Prey“ in digital überarbeitetem Soundgewand erneut das Licht der Welt. Der CD liegt auch eine DVD bei, die das Album in einem glasklaren, herrlich plastischen 5.1-Surround-Sound parat hält. Das ist genau die Art, wie Musik gespielt werden muss. Der Hörer ist mittendrin, die Töne umschweben ihn, man entdeckt stets neue Details, die vorher im Verborgenen geblieben sind. Das Begleitheft ist auch anno 2010 nur mit Lupe komfortabel zu lesen und macht schmerzlich deutlich, dass das LP-Format für Booklet-Studien auf dem heimischen Sofa noch immer am besten geeignet ist.
Auf „Tender Prey“ hat sich Cave bereits vom krachend-avantgardistischen Post Punk seiner Vergangenheit entfernt. Die Eingängigkeit von „The Good Son“ ist noch nicht erreicht. Vom martialischen „The Mercy Seat“ über das musikalisch beinahe fröhliche „Deanna“ bis zum erzählenden Lou Reed-Stil bei „Watching Alice“ und „Slowly Goes The Night“ deckt Cave ein abwechslungsreiches Spektrum ab. Doch selbst der entspannte Rhythmus inklusive warmer Mundharmonika eines „New Morning“ ist nur halb so wertvoll, wenn den düster-prophetischen Texten nicht gelauscht wird, welche die Wahrnehmung des Instrumentalen entschieden beeinflussen. Das Süßliche versteckter Harmonien kontrastiert ganz vorzüglich das morbide-beklemmende Flair der Lyrics.
FAZIT: Alleine wegen des 5.1-Mixes ist diese Wiederveröffentlichung ihren Preis wert. Zusätzlich befinden sich auf der DVD noch diverse Live- und Akustik-Versionen verschiedenster Songs und Musikvideos zu „Do You Love Me Like I Love You“, „The Mercy Seat“ und „Deanna“. Es wäre schön gewesen, wenn das Booklet im Zuge einer dezenten Modernisierung an das CD-Format angepasst worden wäre, aber wer die Texte lesen will, kann sich diese auch aus dem Internet ausdrucken. Als dunkler Musik-Poet steht Cave auch im Jahre 2010 noch einzigartig da – eine gute Gelegenheit also für Einsteiger, in das Universum des Australiers einzutauchen.
Als weitere Dreingabe befindet sich auf der DVD noch der fünfte Teil der Dokumentation „Do You Love Me Like I Love You“, auf welcher die Band selbst und Personen aus dem Umfeld der Band ihre heutige Sicht auf das Album schildern.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.04.2010
Nick Cave
Mick Harvey, Blixa Bargeld, Kid Congo Powers, Roland Wolf
Thomas Wylder
Mute/EMI
49:23
26.03.2010