Zurück

Reviews

PTYL: V/Loki/Delta Theory

Stil: Experimental Dark Electro

Cover: PTYL: V/Loki/Delta Theory

Holla die Waldfee, welch kranker Shit! Im positiven Sinne selbstverständlich, denn was Namensgeber PTYL (hebräisch für Zündschnur) auf diesem Doppeldecker in rund 150 Minuten auf den Hörer loslässt, ist elektronischer Armageddon der Extraklasse. Wer auch nur mit dem Gedanken spielt, Elektromusik sei seelenloser Müll, der per se nicht gut sein kann, weil die Klänge nicht echten Instrumenten entspringen, kann falscher nicht liegen. Lassen wir jenen Ignoranten also ihren kleinen Horizont, ihre kleine Welt. Lassen wir sie das Gute jenseits der Scheuklappen verpassen.

PTYLs klangliche Monstren zerbersten vor Emotionen wie Hass, Verzweiflung, bitterbösem Zynismus und Wut, und was hier technisch und kompositorisch geschieht, ist hochgradig anspruchsvoll, progressiv und kompromisslos verspielt. Kläglich wird versucht, das Schaffen des Israelis schwarz auf weiß zu beschreiben: „PTYL verbindet die Dekadenz von VELVET UNDERGROUND m it der Vielschichtigkeit SKINNY PUPPYs und dem Dekonstruktivismus der NINE INCH NAILS“... So abwegig ist das mitnichten, doch das imaginäre Ergebnis dieser Legierung wäre bei weitem zu brav, denn das auf „V“ und „Loki“ dargebotene Inferno ist um ein Vielfaches extremer und geht viel, viel weiter.

Mehr Noise, Perversion des Tanzbaren, stockfinstere Soundscapes, völlig verkopftes, chaotisches Digitalgehacke, Big Beats im apokalyptischen Fleischwolf, Trent Reznor auf einem ganz üblen Trip, Verzerrungen, die an MERZBOW kratzen und Löcher ins Gehirn fräsen, Energie, die Wolfram zum Schmelzen bringt, Dunkelheit dunkler als schwarz. Doch auch der ein oder andere Wohlklang taucht immer wieder auf und zaubert einem farbige Bilder und den Duft der unberührten Natur in den synästhetischen Empfangskanal – bloß, um hinterher noch mehr Spuren der Verwüstung, dreckiges Grau und Schmerz zu hinterlassen.

Sowohl die „V“- als auch die „Loki“-Stücke entziehen sich sämtlichen herkömmlichen Songstrukturen. Bei „Loki“ kann man zwar von selbigen noch halbwegs etwas vernehmen, doch auf „V“ verschwimmen die Grenzen innerhalb der Stücke und untereinander völlig – jedenfalls darf man sich bei beiden Tonträgern auf eine sehr auslaugende, anstrengende, verstörende und unbequeme Reise durch den PTYLschen Klangkosmos gefasst machen, bei der man mit einer derartigen Urgewalt durch Raum und Zeit geschleudert wird, dass man hinterher erst einmal seine Sinne wieder neu sortieren muss. Man wird gegen Wände geschmettert, dass man jeden einzelnen Knochen knacken spürt. Man wird verschlungen und unverdaut wieder ausgespien.

Der äußerst intellektuelle junge Mann aus dem Nahen Osten handelt zu keiner Zeit nach der Devise „Hauptsache so krass wie möglich“, sondern untermauert seine Gefühle, seine Messages und generell seine lyrischen Ergüsse (auf welche einzugehen seitenweise Text mit sich zöge, weswegen ich in dieser Rezension bewusst darauf verzichte) lediglich mit entsprechend intensiven Sounds. Besser kann man seine Gedanken nicht in Musik kanalisieren. Vielleicht wird der ein oder andere über die technische Umsetzung dessen gegrübelt haben und sich fragen, mit welch unfassbarem Equipment die Stücke programmiert wurden. Sie entstanden auf einem stinknormalen PC mit Windows 98, komponiert mit einem Tracker, welcher im DOS-Modus läuft...

Optional gibt es zu den beiden CDs noch das rund 300-seitige Buch „Delta Theory – The Gift Of Loki“ zu erwerben, außerdem gibt es auf PTYLs Blog noch Unmengen an weiterem wissenswertem Stoff rund um ihn und seine entwaffnend ehrliche Musik zu beäugen. Man kann sich also nicht über mangelnde Wertigkeit oder nicht vorhandene Fannähe beschweren, eher lässt der gute Mann einen dermaßen nah an seine Musik, dass er fast die komplette Diskographie als kostenlose Downloads zur Verfügung stellt.

FAZIT: Dieser Planet ist komplett wahnsinnig und völlig im Arsch. Die Menschheit ist krank und kaputt. Wir, mitten im globalen GAU. Und PTYL liefert uns den Soundtrack dazu.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.03.2010

Tracklist

  1. <b>V:</b>
  2. Intro
  3. 1MC
  4. 3 Ticks
  5. Motherfucker#0
  6. Minion
  7. The Vision
  8. Global Killer
  9. Alma
  10. Hell
  11. Rise
  12. Faith
  13. The Taking
  14. Cunts (feat. Mickey Finegold: "Live" Bass)
  15. Womb
  16. Reverb
  17. Tempt
  18. Longing
  19. They
  20. The Wait
  21. <b>Loki</b>
  22. War!
  23. Drag Dorks In Vampire Suits
  24. Loathing (feat. Angela Moriah Graham-Holden: Backing Vox)
  25. Masochism
  26. Another Dragon (feat. Leor Phat Trax Core Zen: Vox/Lyrics)
  27. Hellstream
  28. Sadistic Charm
  29. Art Is From Venus Life Is From Mars
  30. The Method
  31. The Divine Conspiracy
  32. Distress
  33. Hand Of Our Kin (feat. Angela Moriah Graham-Holden: Backing Vox)
  34. 0.0000001
  35. General Victim
  36. " "
  37. Land Of Disgust
  38. West End
  39. Last Light (feat. Angela Moriah Graham-Holden: Backing Vox)
  40. The Gift

Besetzung

  • Sonstiges

    PTYL: alles; Gastauftritte siehe Klammerbemerkungen hinter den Tracks

Sonstiges

  • Label

    Danse Macabre

  • Spieldauer

    151:23

  • Erscheinungsdatum

    21.01.2010

© Musikreviews.de