Film, Musik und Computerspiel verschmelzen im multimedialen Zeitalter schon immer mehr miteinander. Die POETS OF THE FALL ziehen daraus ihren eigenen Nutzen. Während das vierte Album "Twilight Theater", das bereits ein halbes Jahr auf dem Buckel hat (man beachte das Ticket auf dem CD-Cover, auf dem das ursprüngliche Veröffentlichungsdatum versteckt ist), mit seinen cineastischen Anleihen im Titel nun endlich auch nach Deutschland kommt, werkeln die Finnen bereits am Soundtrack für ein neues Computerspiel. Der aktuelle Track "War" stammt auch aus einem solchen - "Alan Wake"-Spieler werden ihn schnell wiedererkannt haben. Zuvor war man bereits im Soundtrack von "Max Payne 2" in Erscheinung getreten. So erschließt man neue Konsumentenkreise. Musik, Kino und Videospiele funktionieren schließlich auch zu großen Anteilen über Emotionen. Die wiederum beherrschen die POETS OF THE FALL meisterlich, weshalb es nach dem abgehärteten "Revolution Roulette" wahrscheinlich sinnvoll war, wieder an die balladeske Melancholie der ersten beiden Alben anzuknüpfen.
"Twilight Theater" beginnt mit "Dreaming Wide Awake" hymnenhaft und stadiontauglich bis zum Äußersten. Stimmungen schillern in dermaßen bunten Farben hindurch, dass man als Rezensent dem inneren Drang widerstehen muss, mit herbstlichen Vergleichen zu kommen und eine Wetterrezension aus dem Ärmel zu schütteln. Stattdessen müssen Namen wie KINO, FROST* und SYLVAN gedroppt werden, um das Ausmaß der cineastischen Qualitäten in das begrenzte Raster einer Musikkritik einpassen zu können.
Apropos Kino: das, was sie machen, nennen die POETS OF THE FALL "Cinematic Rock". Und tatsächlich, während das Album nach und nach die bombastische Staffage zurückdrängt, um den Vorhang für introvertierte Momente und innere Psychologie zu öffnen, da bekommt der Begriff eine Bedeutung. Im "Twilight Theater" wird einerseits der Film gezeigt, ein melancholisches Psychodrama, aber auch der Veranstaltungsort ist Teil der Aufführung. Übertragen bedeutet das: Was die Finnen bieten, ist nicht bloß stimmungsvoller Melancholic Rock, es ist ein intertextuelles Metaspiel zwischen der Kunst und dem Ort der Künste. Marko Saaresto singt mit seiner warmen Stimme, die in den kraftvollen Momenten manchmal dezent in Lenny Kravitz' Revier eindringt, die Handlung von der Leber weg und wird dabei von emotionalen Melodien begleitet. Im Hintergrund aber erklingen orchestrale Arrangements, so dass man nicht mehr länger bloßen Gefühlsrock vor dem inneren Auge hat, sondern eben auch einen Saal, in dem musiziert wird, eine in die herbstlichen Rosttöne des Dämmerlichts getauchte eigene Realitätsebene, die den Song an sich als Konstrukt entlarvt und den Blick auf die Umstände lenkt, unter denen der Song gesungen wird.
All die schallenden Refrains voller markanter Griffstellen, die manchmal in den Vordergrund tretenden Akustikgitarrenakkorde, die Folkanleihen ("You're Still Here"), die klassischen Pianoballadenanteile ("Heal My Wounds"), sie sind inszeniert als Inszenierung. Die Finnen legen den Blick frei darauf, zu welchem künstlerischen Ausdruck von Emotionen der Mensch imstande ist. Nicht nur verleiht das dieser Musik, die für Pathos und Aufgeblasenheit anfällig ist, die nötige Glaubwürdigkeit, es gibt ihr außerdem den matten Glanz des Zeitlosen.
Mit der Rückkehr zur alten Melancholie von "Signs Of Life" und "Carnival Of Rust" erschließen die POETS OF THE FALL wundervolle Abgründe. Einmal mehr (vgl. "Carnival Of Rust") schmücken sie mit ihrer bittersüßen Romantik einen ganzen Handlungsort und schichten dadurch die Atmosphäre der Wirklichkeit über die Atmosphäre der Kunst, was der Musik eine Tiefe verleiht, die man bei der Konkurrenz nicht immer erwarten kann. Empfehlenswert für solche, die nach schlichten Kompositionen mit Tiefgang suchen, aber auch für solche, die sich einfach bloß gerne Sonnenuntergänge anschauen, dabei Clint Mansells "Lux Æterna" hören und davon Gänsehaut bekommen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.10.2010
Jani Snellman
Marko Saaresto (Lead), Jaska Mäkinen (Backing)
Olli Tukiainen (Lead) Jaska Mäkinen (Rhythmus)
Markus Kaarlonen
Jari Salminen
Insomniac Music
46:23
29.10.2010