Hier muss man erst mal die Quelle vorstellen: SETI ("Search For Extraterrestrial Intelligence", nach dem entsprechenden Institut benannt) sind ein chilenisches Musikerkollektiv unter der Führung von Claudio Momberg, seines Zeichens Keyboarder, Bassist und Gitarrist, aber auch Produzent und Songwriter. Es umfasst außer Momberg momentan einen Drummer, einen Bassisten, zwei Sänger (darunter DAMIAN WILSON) und fünf Gitarristen.
Das gesamte Kollektiv war auf dem zweiten SETI-Album "Discoveries" zugegen. Offenbar gab es logistische Schwierigkeiten dabei, die Gesangsaufnahmen zu koordinieren. Aus Frust über den stockenden Fortschritt rief Momberg also jäh das instrumentelle Soloprojekt TAURUS ins Leben und kurzerhand erscheint "Dimensions" nur ein halbes Jahr nach SETIs "Discoveries", das als Geburtsstunde von TAURUS fungiert.
Der Beisatz "SETI related search No.1" deutet darauf hin, dass TAURUS durchaus nicht völlig autark von SETI funktioniert. Der Blick ist immer noch in den Himmel gerichtet in Hoffnung darauf, einen Blick auf eine extraterrestrische Lebensform zu erhaschen, doch die Mittel haben sich geändert: "Dimensions" bietet ein lupenreines Amalgam aus klassischer Musik und Retroprog – orchestraler Soundtrack und viersätzige Komposition für einen schwebenden Blick in den blauen Himmel, der in Sachen Aufwand schon einem Film gereichen könnte. Kein Wunder, dass sich Momberg ausgerechnet eine Symphonie für seinen Solopfad ausgesucht hat, denn Symphonien gelten traditionell als Trageflächen für die Emotionen und persönlichen Bedürfnisse des Komponisten.
Bei der Leichtigkeit, mit der die vier Sätze (benannt "Air", "Structures", "Solids" und "Tension") dahingleiten, ist man allerdings versucht, das Resultat von Mombergs Einzelbemühungen nicht allzu verbissen auf irgendeine Bedeutung abzuklopfen. "Dimensions" ist eher Ausdruck der Befreiung seines Schöpfers als mit wichtigen Aussagen aufgeladen. Dass sich später retroprogressive Elemente in die Orchesterarrangements einschmuggeln, ist daher vor allem der musikalischen Ausbildung des Songwriters zuzuschreiben und nicht etwa einer inneren Logik. Bezeichnend auch, dass Momberg ursprünglich geplant hatte, vollständig auf klassikfremde Elemente zu verzichten.
Die Spannung hält sich deswegen gerade für SETI-Unkundige mehr oder weniger in Grenzen. Das erste TAURUS-Opus plätschert gefällig dahin, wenn man nicht gerade stark mit dem Künstler vertraut ist und die eher diffizilen Wendungen, die sich in der Musik ergeben, auf ihn projizieren kann.
"Dimensions" bietet dessen ungeachtet ein nie ins Kitschige oder Klischeehafte driftendes Kompositum, das aus einem beachtlichen instrumentalen Fundus besteht. Solange die klassische Musik "unter sich" bleibt, malt Momberg mit TAURUS ein reines, klares Bild einer malerischen Landschaft vor dem inneren Auge. Im ersten Satz "Air", das ursprünglich vollständig klassisch bleiben sollte, bleibt das Bild 13 Minuten lang bestehen, bis im Hintergrund plötzlich zaghaft eine E-Gitarre zu zupfen beginnt. Ab hier verlagern sich die klassischen Instrumente mit denen des Retroprogs – Gitarren eben, Keyboards. Dennoch bleibt die Idylle bestehen, sie bekommt bloß den Hauch einer Genregebundenheit, die einerseits alleine aufgrund der Zusammensetzung interessant ist, andererseits aber keine tiefere Bedeutung zeigt. An manchen Ecken und Enden lassen sich gar an Ennio Morricone erinnernde Westerneinflüsse herauslesen, die gemeinsam mit der Alien-Prämisse und dem Klassik-Grund einen schön schrägen "Mozart meets Cowboys vs. Aliens"-Touch bekommen, obwohl die Musik selbst keinerlei derartigen Trashappeal oszilliert.
FAZIT: Gefälliges Klassikexperiment, dem man anhört, wie gerne es pure Klassik wäre. Dass trotzdem Claudio Mombergs Retroprogwurzeln ins Album gefunden haben, kann man als Inkonsequenz auslegen, es gibt "Dimensions" aber zumindest ein wenig von dem Pfeffer, den TAURUS bitter nötig hat. Denn die klassische Musik, die der SETI-Ableger bietet, mag zwar von Schönklang geprägt sein. Auch Facettenreichtum, Kitsch- und Klischeefreiheit kann man ihm attestieren, aber Spannung kommt allzu selten auf. Eine Platte vom Künstler für den Künstler – das ist legitim. Und vielleicht können auch ein paar SETI-Anhänger etwas aus TAURUS ziehen.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.11.2010
Claudio Momberg
Claudio Momberg
Claudio Momberg
Claudio Momberg
Claudio Momberg (Orchester)
Mylodon Records
55:15
29.10.2010