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Unitopia: Artificial

Stil: Progressive Rock

Cover: Unitopia: Artificial

UNITOPIA zählen nach ihrem Quasi-Erfolgsalbum „The Garden“, das unter Fans ihre Kreise in Foren und Websites drehte, zu den „Hoffnungsträgern“ des symphonischen Progressive Rock. Eine Ähnlichkeit zu Pop-Proggern wie IT BITES, KINO oder FROST ist unverkennbar, die seit der zweiten Hälfte der 00er auf ein wachsendes Publikum stoßen. Mit Selbstbeweihräucherung oder Frickelorgien sind stattdessen immer mehr Progmetal-Bands der DREAM THEATER-Schule behaftet, große Melodien schreiben ebenfalls andere.

UNITOPIA, um Sänger und Songwriter Mark Trueack, lassen ungezwungenen Melodiekitsch, gemütlichen Jazz und fantasievollen Rock der 70er heraushängen, alles erstklassig produziert und präsentiert. Instrumentale Ausflüge gibt es kaum (bis gar nicht), was man nur als Vorteil werten kann. „The Garden“ umfasste 100 Minuten Musik, wobei sich auch viel Leerlauf darunter befand. „Artificial“ ist wesentlich kompakter, die 50 Minuten bestehen aus kürzeren Songs mit moderaten Laufzeiten und einem Longtrack.

Für’s Namedropping: Als Einfluss kommt viel in Frage. Trueack klingt in der Tat sehr nach verrauchtem PETER GABRIEL in den Mitneunzigern, musikalisch vollführt man Schwenks ins Perkussive und/oder Ethno, auch mal in Richtung THE TANGENT oder FROST, die Gitarren dürfen etwas härter sein und Keyboards sind in ihrer ganzen Farbenpracht (von der dreckigen Orgel bis zu Synthiegequietsche und Streichersounds) durchgehend präsent. Es besteht also kein Zweifel, dass es sich um modernisierten Schönklangprog handelt, wobei UNITOPIA erfrischend variabel arrangieren und instrumentieren. Auf weniger Zustimmung stoßen die zum Teil übermäßig bombastisch aufgeladenen Orchesterpassagen in „Nothing Lasts Forever“ oder „The Power Of 3“, in denen sich Produzent und Keyboarder Sean Timms tunlichst hätte zurückhalten sollen.

Der dritte Silberling dreht sich textlich wieder um ein Thema, diesmal – wie es der Titel andeutet – unsere künstliche Umwelt, in der wir Leben und die wir selber geschaffen haben. Von den lyrischen Qualitäten der beiden Protagonisten Mark Trueack und Sean Timms kann ich an dieser Stelle wenig sagen, da digitale Promos bekanntlich keine Songtexte mit sich führen...

„Artificial“ wäre kein Konzeptalbum, gäbe es da nicht das berühmt berüchtigte Intro. „Suffocation“ ist – Erleichterung! – zum Glück kein unheilschwangerer „Donner und Regenschauer aus der Konserve“. Erstaunlich modern fällt die Überleitung in „Artificial World“ aus, das tatsächlich von PETER GABRIEL hätte stammen können. Bass und Perkussion sowie die geschmackvollen Synthies lassen Ambientfeeling aufkommen. Der Refrain ist unterlegt mit härteren Gitarren und überzeugt mit hoher Catchyness und geringem Schmalzfaktor. Schön auch die jazzigen Saxosoli von Peter Raidel, die, eingebaut in fast jeden der zehn Songs, die heimlichen Höhepunkte von „Artificial“ markieren.

Grausig ist das BEATLES-Tribute „Nothing Lasts Forever“. Nicht nur der Orchestereinsatz ist überbordend und nervig, auch der Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung der FAB FOUR („come together“, „the fool on the hill“) tut phasenweise richtig weh. Dazu der schunkelige Mittelteil... Skip. Als müssten UNITOPIA sich entschuldigen, legen sie mit „Not Human Anymore“ einen groovig-proggigen Rocktitel auf den Plattenteller, der den Ausrutscher sofort vergessen macht.

Das Kernstück ist das dreizehnminütige „Tesla“. Schnell landet mein Zeigefinger wieder auf der Skiptaste – ist das jetzt doch das befürchtete „Donner und Regenschauer aus der Konserve“-Intro? Dauert glücklicherweise nicht lange. „Tesla“ kann im Gesamten überzeugen, bietet einen spannenden Aufbau und interessante Melodien, denen das Retrofeeling einerseits abgeht, die aber andererseits wie eine hypothetische GENESIS-Reunion mit GABRIEL tönen. Alte Hunde, neue Tricks eben. „Tesla“ schließt mit floydigem Steelguitarsolo und führt ohne Pause zu „Reflection“, eine akustische Halbballade, die nicht ganz packen kann.

„Power Of 3“ ist der bereits erwähnte, einminütige Tiefpunkt des gesamten Albums. Kitschtriefend und nicht mal geeignet für eine Liebesschnulze. „Rule Of 3’s“ setzt das Thema mit der gewohnten Besetzung fort, wobei die Sechssaiter wieder ein wenig bratzen dürfen und GENTLE GIANT-Gesangstrukturen hervorgeholt werden. Ein bisschen Jazz und Ethno und die Sache ist im Kasten. „Gone In The Blink Of An Eye“ arbeitet mit UNITOPIA-typischen Zutaten, Melodic Rock trifft auf Progpop trifft auf Jazz, was aber inzwischen gut aufgeht. „The Great Reward“ ist neben „Tesla“ der Albumhöhepunkt und Schlusstrack, bei dem der Bombast ausnahmsweise nicht aufgesetzt wirkt, sondern mitreißend und dramatisch ist und sich dabei etwas an die alten SPOCK’S BEARD anlehnt.

Wenn ich die Gitarren in den Songs „hart“ nenne oder das Wort „Jazz“ erwähne, muss man sich im Klaren darüber sein, dass all diese Elemente in einen einheitlichen Kontext eingewoben sind und sich dem symphonischen Schönklang zu beugen haben. UNITOPIA können also ohne Bedenken von Neoproggies konsumiert werden, es wird niemals auch nur eine „schräge“ oder „atonale“ Minute geben; die Titel flutschen ohne Widerhaken direkt in die Gehörgänge.

FAZIT: UNITOPIAs inzwischen drittes Album „Artificial“ enthält alles, was die Band ausmacht: eingängigen, gutklassigen Pop / Rock, starke Perkussionarbeit, farbige Keyboards, Bombast und groovige E-Gitarren, alles im Mixer längst angestaubter Legenden gerührt und im schimmernden, neuen Klanggewand produziert. Ob UNITOPIA als Retroprog (THE TANGENT, FLOWER KINGS, SPOCK’S BEARD) oder als Popprog (IT BITES, FROST) durchgehen, ist Hemd wie Hose. Die Band fährt in beiden Gewässern gut. Mit Ausnahme von gelegentlichen Kitschausrutschern ist „Artificial“ ein superbes Progschauspiel und durch die gewonnene Kompaktheit sogar genießbarer als „The Garden“. Antesten!

ANMERKUNG: In Europa wird die erste Edition der CD in einem Digibook veröffentlicht, zusammen mit drei Bonustracks („What Kind Of World?“, „This Time, I Think We Got It Right“ und „Relative To Me“). Im Oktober wird UNITOPIA schließlich auf Europatournee gehen. Nicht verpassen!

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.04.2010

Tracklist

  1. Suffocation
  2. Artificial World
  3. Nothing Lasts Forever
  4. Not Human Anymore
  5. Tesla
  6. Reflections
  7. The Power of 3
  8. Rule of 3’s
  9. Gone in the Blink Of An Eye
  10. The Great Reward

Besetzung

  • Bass

    Shaun Duncan

  • Gesang

    Mark Trueack, Sean Timms, Matt Williams

  • Gitarre

    Matt Williams

  • Keys

    Sean Timms

  • Schlagzeug

    Jamie Jones, Tim Irrgang

  • Sonstiges

    Peter Raidel (Sax)

Sonstiges

  • Label

    InsideOut

  • Spieldauer

    52:58

  • Erscheinungsdatum

    03.05.2010

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