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White Pulp: Lost Inc.

Stil: Industrial Rock / Crossover

Cover: White Pulp: Lost Inc.

Dass WHITE PULP mit POSTHUMAN eine MARILYN-MANSON-Tribute-Band im Stammbaum stehen haben, sollte man nicht zwingend als Marschrichtung für ihr inzwischen zweites Album betrachten. Mit Manson hat "Lost Inc." kaum mehr etwas gemein, auch wenn das beim Debüt "Ashamed of Yourself" noch der Fall gewesen sein soll. Dafür glückt der dreiköpfigen Formation ein stilistischer Rundumschlag, der die Schublade "Industrial Rock" lediglich als Startpunkt einer abwechslungsreichen Freestyle-Session benutzt.

Dazu gehört die rotzendfreche Tatsache, dass mal eben der TEARS FOR FEARS-Klassiker "Mad World" neu aufgenommen und in ein rhythmisch groovendes Gewand hinein interpretiert wird, das ihm erstaunlich gut zu Gesicht steht. Ganz wie selbstverständlich wird dem fragilen Stück, das man so leicht hätte kaputtmachen können, die Dampfmaschine untergejubelt – und es funktioniert.

Nach diesem tollkühnen Prinzip des Einfach-mal-Versuchens ist das gesamte Album aufgebaut. "Lost Inc." fühlt sich zwar nicht wirklich schnell oder abgedreht an, denn überwiegend handelt es sich um einfache Midtempo-Nummern, die mit gleich bleibenden Schlagzeugsequenzen und repetetiven ersten Gitarren die typische Industrial-Langsamkeit erzeugen, die Schnelligkeit bloß vortäuscht. Allerdings differieren Aufbau und Ideen der Songs teils gravierend voneinander. "Malediction" ist zum Beispiel noch klassisch nach dem Additionsprinzip aufgebaut: Synthesizer, ein dominanter werdendes Schlagzeug, Einstieg von Sänger Sonny, der dann irgendwann von einer gemeingefährlichen Guitar Wall abgelöst wird, bevor er selbst wieder ran darf. "Lie in Everyone" dagegen folgt dem Aufbau einer Ballade (ohne jedoch den pumpenden Industrialrhythmus aus den Augen zu verlieren). Dann wieder trifft man auf übersteuerte Noise-Ansätze ("Straight To Your Fucking Head"). Viele Stücke klingen gleichzeitig nach verschiedenen Bands: PARADISE LOST in der "One Second"-Ära schallt in kurzen Schlüsselmomenten heraus, Sonny klingt hier und da leicht nach PENDRAGONs Nick Barrett und der Hang, vom Melodischen ins dreckige Geschrammel zu driften, scheint von den NINE INCH NAILS geerbt. Zudem gibt's noch Ausflüge in Southern-Rock-Gefilde. Die Crossover-Struktur, die sich durch die vielen verschiedenen Ansätze ergibt, lässt indes Erinnerungen wach werden an die späten Neunziger und STABBING WESTWARDs Konzeptwerk "Darkest Days", wenngleich das noch etwas schlüssiger erschien.

FAZIT: WHITE PULP suchen noch. Die Emanzipation von MARILYN MANSON ist soweit geglückt, eine eigene Identität noch nicht errichtet; aber die Ansätze stehen. "Lost Inc." bietet einen Blick über den Industrial-Tellerrand und vergrault damit wohl die, die straighten Industrial Rock erwarten. Andere werden mit einem Blumenstrauß an Ideen und einem düsteren bis dreckigen Feeling belohnt, wobei auch hellere Momente nicht ausbleiben. Das schmeckt als Ganzes sehr reichhaltig, selbst wenn manche Lage nicht ganz so sehr mundet. Wie beispielsweise die drei Bonustracks, Akustikversionen der Songs "Crow's Love", "Blackout" und "Scared Eyes" vom Vorgängeralbum. Aber das ist ohnehin nur der Nachtisch.

Punkte: 9/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.05.2010

Tracklist

  1. Malediction
  2. Lost Inc.
  3. Full Time Bitch
  4. Just Like Me
  5. Mad World
  6. All My Needs Are Gone
  7. Run Into
  8. A Lie In Everyone
  9. Death In The Afternoon
  10. Straight To Your Fucking Head
  11. Unless You Are Not A Slut
  12. S.T.F.U.
  13. Misunderstood Sweetness
  14. Crow's Love (Bonus Track)
  15. Blackout (Bonustrack)
  16. Scared Eyes (Bonustrack)

Besetzung

  • Bass

    Nuke

  • Gesang

    Sonny (Lead), Nuke, Valentina, Amy (Backing)

  • Gitarre

    Sonny, Carlo

  • Keys

    Sonny, Nuke

  • Schlagzeug

    Archealo Macrillo

  • Sonstiges

    Sonny (Synthesizer), Nuke (Samples)

Sonstiges

  • Label

    Echozone

  • Spieldauer

    58:57

  • Erscheinungsdatum

    07.05.2010

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