Einen größeren Schwanz als den goldenen Phoenix, der aus der Asche steigt, werden auch LIMP BIZKIT mit ihrer "Gold Cobra" nicht mehr aufs Cover bringen können. Sollte es überhaupt noch jemals erscheinen. (HED) P.E. sind da potenter: "Truth Rising" ist die neunte Veröffentlichung innerhalb der letzten acht Jahre, darunter sechs Studioalben, zwei Best Ofs und ein Livealbum.
Immer offensichtlicher wird spätestens nach dem letzten Marktschmiss "New World Orphans" (2009) die politische Lesart der Crossover-Veteranen. Auch der Wahrheit verkörpernde Phoenix ist wieder ein Politikum: George Bush hat sein zerstörerisches Werk zur Vollendung gebracht. Nun gilt es also, sich aus dem zurückgelassenen Dreck freizuschaufeln und eventuell neu entstehenden Dreck mit schwingenden Federflammen gleich in der Luft zur Redoxreaktion zu zwingen. Nebenher ist der Phoenix natürlich ein signalfarbenes Phallussymbol, das auch weiterhin zu der fragwürdigen Tradition legitimiert, sleazigen Porngrind unter die inzwischen seitenlangen Songtitel zu mischen. Wer sich angesichts der Mischung fragt, wie Politik und Sex zusammenpassen: beide sind immerhin verkaufsträchtig.
Von der Hoffnung, dass (HED) P.E. irgendwann wieder zu der herausragenden Hook-Maschine aus "Broke"-Zeiten werden, sollte man sich langsam verabschieden; auf "Blackout" (2003) hatte man zwar bewiesen, selbst dem Mainstream frische Impulse verleihen zu können, dies aber auf Druck von Jive Records. Seit dem Label- und teilweisen Besetzungswechsel bei "Only in Amerika" (2005) hat sich der Stil im Punk- und Hardcore-basierten Crossover eingenischt. "Truth Rising" variiert diesen ein weiteres Mal mit eindrucksvoller Kraft, klingt aber diesmal dumpfer, rauer, groovefixierter und schnörkelloser als zuletzt auf "New World Orphans" und vor allem "Insomnia" (2007).
Das geht vor allem zu Lasten des charismatischen Frontmanns Jahred Gomes, dessen Vielseitigkeit auf Growling, Screaming und das variantenreiche Bellen von Raps in allen möglichen rhythmischen Ausrichtungen zurechtgestutzt wird. Von der durchaus beeindruckenden Gesangsstimme des Afrobrasilianers wird entschieden zu wenig Gebrauch gemacht, eigentlich profitiert nur der originelle Refrain von "It's All Over" davon.
Weitere Schwächen muss man einmal mehr in den vielen Füllsequenzen suchen. Zusammengehalten wird die Songsammlung durch Einspielungen von politischen Reden und alberne Ausschnitte aus Radio-Sex-Talks. Mathematisch gesehen bleibt von dem 59-Minüter nach Abzug aller In- und Outros und Interludien eine Nettospielzeit von vielleicht 45 Minuten, aus denen man dann nochmals die überflüssigen Stücke streichen muss, um an den nicht im Übermaß vorhandenen Rahm zu kommen.
Der für (HED) P.E. typische Überraschungseffekt per radikaler Genrekreuzung kommt trotzdem wieder zum Tragen: eine Metalcore-Gitarrenlinie ist im rotzpunkigen Umfeld des Albums per se schon ein Absurdum, sie auf "Stand Up" aber in bluesrockige Strukturen nach GUNS 'N ROSES münden zu lassen, ist fast schon dreist – insbesondere, wenn es unmittelbar danach mit afrikanischen Tribals weitergeht. SYSTEM OF A DOWN grüßen außerdem auf "Bad News", NINE INCH NAILS haben auf "It's All Over" ihre Spuren hinterlassen, die BEASTIE BOYS jammen gemeinsam mit JAMES BROWN auf dem Hardcore-Punk-Soul-Amalgam "No Rest For The Wicked", dazu eine durchgängige Hip Hop-Grundierung als Basis und Reggae setzt den Deckel auf die Platte. Die spielerische Kompetenz von (HED) P.E. - darin macht "Truth Rising" nicht die geringste Ausnahme - liegt in der schier lebensmüden Kreuzung multikultureller Einflüsse, die traditionell autarke Sammelgenres wie Hip Hop, Hard Rock und Heavy Metal ziemlich alt und einfallslos aussehen lassen. Doch nicht nur der Wagemut grenzt (HED) P.E. von anderen Crossover-Recken ab, auch die selbstverständliche Art und Weise, wie die Stile sich zu einem homogenen Ganzen vereinen. Hierin bildet "Truth Rising" die vorläufige Krönung, derweil das melodiöse Spektrum abgenommen hat.
FAZIT: Sie verstecken sie zwar tiefer als bislang, auf den Grund gewühlt haben (HED) P.E. aber ein Abo auf die Unberechenbarkeit gepachtet. Auch wenn "Truth Rising" denselben Kurs verfolgt wie die letzten vier Alben, das Songmaterial gefühlt immer politischer und pornografischer wird und "Killing Time" wohl auf ewig die repräsentative (HED)-Hymne bleiben wird: die absonderlichen Konstruktionen aus Hardcore, Punk, Hip Hop, Jazz, Blues, Reggae, Nu Metal, Heavy Metal, Soul, R'n'B und Weltmusik bleiben halbwegs spannend. Natürlich vermisst man ein wenig die balladeske Seite, die den Kaliforniern auch mal gut zu Gesicht stand, und 22 Songs können nicht nur Killer, sondern müssen auch Filler beinhalten. Gerade angesichts der fast jährlichen Veröffentlichung neuer Studioalben drängt sich eine Pause zwingend auf. Andererseits schafft "Truth Rising" es bei all den eklatanten Schwächen beispielsweise im Vorbeigehen, innerhalb von ein paar Sekunden den Latino Metal authentischer klingen zu lassen als ILL NINO auf den letzten drei Alben – dito für alle anderen Metal-Randarten und deren Aushängeschilder.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.12.2010
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26.10.2010