Tut das Not, dass man wieder etwas ans Tageslicht zieht, das sich seine Vergessenheit so redlich verdient hat? Muss man denn unbedingt so gnadenlos mit Kanonen auf Spatzen schießen, Herr Rezensent? Sollte man "Hello" nicht einfach weiterhin in seiner Belanglosigkeit darben lassen?
Was keiner wusste: dieser Spatz tritt immer noch regelmäßig an meine Bettkante, zupft an meiner Decke, zwackt mir in die Nase und quäkt mir beharrlich seinen debilen Gruß ins Ohr: "Hello. Hello. Hello." (und gemeint ist nicht etwa ein Motorola-Handywecker!). Ist es denn da so verwerflich, dass man seine Wumme unter der Decke hervorziehen und ein kratergroßes Loch in den Fußboden ballern möchte, an der Stelle, an der das kleine Etwas stand und nervte?
In der Tat, irgendwie geht "Hello" auch drei Jahre nach seiner Veröffentlichung mächtig auf den Senkel. Dabei konnte man den Norddeutschen irgendwie nie so richtig Vorwürfe machen. Anfangs als LIMP BIZKIT-Kopisten verpönt, sogar inklusive ganz eigener Hater-vs.-Lover-Schaukämpfe – wer will es ihnen vergönnen, dass sie ein Stück vom Kuchen abhaben wollten? Und dann überraschten 4LYN mit nicht geglaubter Experimentierfreude. Zwar war alles, was man je veröffentlichte, mehr als durchwachsen und die Texte wichen nie ernsthaft von ihrer primitiven Sprache ab, aber zumindest kann man nicht sagen, dass ein Album klang wie das andere. "Compadres" hatte zuletzt sogar richtig Feuer unterm Hintern.
"Hello" ist da wieder ein ganz neues Kaliber. Mit ihrem bis dato letzten Lebenszeichen feiern die "little young Nasties" eine armselige Vierakkord-Poprockparty, die vorläufig einen Deckel auf den deutschen Crossover macht. Das Album entbehrt nicht der Ironie, mit dem begrüßenden Titel in Wirklichkeit einen Abschied zu feiern; es hört sich wie eine verquere Beerdigung. Songs wie das kantenlose "Too Much Of Anything" propagieren aufgesetzte Karnevalistenfröhlichkeit und lassen sie von aufgesetzter Nostalgie, äußerst originell "Nostalgia" betitelt, folgen. Das ist wegen des netten Refrains noch der erträgliche, wenngleich verkitschte Teil einer beispiellosen Poproxploitation, die da ihren Lauf nimmt. Hardrock-Shoutchöre hallen wider, Strophe-Refrain-Muster legen sich nieder und falscher Pathos schichtet sich unbequem in die Prankster-Attitüde, mit der 4LYN grundsätzlich auf Kundenfang gehen.
Oberflächlich betrachtet liegt das Problem darin, dass sich viele Stücke zu sehr auf ihren Chorus verlassen, was neben "Nostalgia" insbesondere den Titeltrack betrifft. Dass die Strophen samt und sonders ähnlich kurzweilig sind wie ein von Rüdiger Hoffmann vorgetragenes Hörbuch, zieht den Fokus noch weiter auf die selbst auch nicht gerade genieumschmeichelten Refrains. Tatsächlich ist "Hello" aber wohl in seiner Gesamtheit kaum mehr als ein letzter breiiger Rülpser einer ausgebrannten Jump-Rock-Maschinerie. Als der Frosch, dem Ron Cazzato bis dahin so gefühlvoll seine Stimme lieh (und wofür er geliebt und gehasst wird wie Fred Durst), dann endlich mit einem saftigen "Pop(p)" platzt, scheint der deutsche Crossover bereits längst vor dem Frosch tot zu sein.
FAZIT: Unmotivierter, künstlicher und falscher kann man ein Album eigentlich kaum dahinschludern. Wenn man "Hello" Positives abgewinnen will, dürften das eigentlich nur zwei Dinge sein. 1.: Es grüßt so höflich. Und ist Höflichkeit heutzutage nicht ein selten gewordenes Gut? 2.: Nach dem teils heavyrockigen "Compadres" kommt die Poppunkrock-Ausrichtung recht überraschend. Überraschend ist es aber auch, mit wie viel Nachdruck die Hamburger sich als Bestattungsgehilfen für eine Musikrichtung empfehlen, die mal von Bedeutung war.
Punkte: 2/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.01.2011
Björn Düßler
Ron Cazzato
René Knupper
Sascha Carrilho
Rodeostar Records
35:39 (Standard) / 46:32 (Limited)
25.01.2008