Wie das eben so ist mit Soloplatten: Man möchte sich ein Stück weit damit seine Freiheit erspielen. Freiheit ist dabei Abgrenzung vom Hauptprojekt, und im Fall von ADRIAN WEISS kann das nur bedeuten, sich zumindest kurzzeitig des hochkomplexen Progmetals von FORCES@WORK zu entledigen, um zumindest eine knappe Stunde das unkomplizierte Blau und Weiß des Himmels zu genießen.
„Big Time“ nennt man so etwas – TOM WAITS hat’s vorgemacht. Und Weiss verschwendet seine große Stunde nicht etwa daran, ein bestimmtes Thema zu erörtern, das bei FORCES@WORK nicht erhört wurde; vielmehr spielt er mit der grundlegenden Befreiungsstimmung, die er zu empfinden scheint, und verkleidet sie in entsprechende Instrumentalstücke, die vom Freischwebeflug über Küstenlandschaften bis zum entschlossenen Sturzflug alles abdecken.
Um ganz sicher zu gehen, dass seine Intention verstanden wird, widmet er im Booklet jedem Stück ein paar Worte zur Entstehung und zur beabsichtigten Wirkung. Neues erzählt er hier kaum, denn auch ohne Anleitung hätte man verstanden, dass der Opener „Summer Drive“ das Gefühl „of sitting in a car cruising along a country road on a warm sunny day“ simuliert. Dafür bewegt sich Weiss nämlich zu stromlinienförmig: Die akustische Rhythmusuntermalung präsentiert die einsam wimmernde Leadgitarre vorbildlich und kann so kaum auf etwas anderes hinaus als auf die Freiheit des Leadgitarristen. Im „Summer Drive“-Äquivalent „Desert Sanctuary“ streut Gast Demian Heuke einen Hauch von Orientalflair ein, um der Wüste nahe zu kommen, „Egyptian Inscription“ macht nichts anderes als THE BANGLES in den 80ern mit „Walk Like An Egyptian“, und so weiter, und so fort. Kurz: Die effiziente Art und Weise, wie die Titel die Songs wiedergeben, erinnert ungemein an den Film „Snakes On A Plane“.
Ganz frickelfrei bleibt es natürlich nicht. Auch wenn vibrierende, klare Vibes im Zentrum stehen, hier und da rafft sich Weiss zu flinken Soli auf und wird auch mal vom Bass herausgefordert. „The Progressive Society“ wurde sogar mit den FORCES@WORK-Kollegen eingespielt und stellt so etwas wie die brave Rückkehr in die behütete Heimat dar, die auf dem Cover von dem wilden Haufen aus Blech und Schrott symbolisiert wird.
Den frechen Ausritt gönnt man Weiss mit Sicherheit und seinen Gästen ebenso (erstaunlich übrigens, wie viele davon an Bord sind und wie homogen das Album trotzdem wirkt), doch ist ganz egoistisch die Frage zu stellen: Was habe ich als Zuhörer davon? Und in der Wirkung nach außen fehlen eindeutig die Ecken und Kanten, an denen man sich reiben kann. Das Ding kann man getrost in eine Ecke zu vielen anderen ambitionierten, aber wenig beachteten Bandausbrüchen wie MARC RIZZO oder ANDREAS KISSER stellen, neben die mittelprächtigeren Outputs von JOE SATRIANI und STEVE VAI vielleicht. So grundsolide das Material ist; Gitarre spielen können viele, sie pathetisch heulen lassen ohnehin. Um da herauszuragen, braucht es einfach mehr. Die Paradoxie an der Sache ist, dass „Big Time“ gar nicht mehr sein will, nur hatten diese Idee eben auch schon viele…
FAZIT: „Big Time“ ist überzeugend darin zu vermitteln, dass der Schöpfer und seine Mitstreiter eine gute Zeit hatten, aber wie gut ist die Zeit für Außenstehende investiert? Das hängt sicher davon ab, mit welchen Erwartungen man an die Sache geht. Wer sich von ADRIAN WEISS einen kreativen Ausbruch erhofft, ist eher auf dem falschen Dampfer. Wer sich dagegen einfach von irgendwem mit guter Laune anstecken lassen möchte, der kann ruhig einen Versuch wagen, an Weiss’ „Big Time“ teilzuhaben. Der Mann teilt sicher gerne.
Punkte: 7/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.12.2011
Jan Ristau (1, 8), Goran Vujic (2, 6, 7), Joachim Kremer (3), Marcel Willnat (4, 9, 11), Micha Schröder (5), mf-c (10)
Adrian Weiss (Lead), Demian Heuke (1, 5, 8), Thorsten Praest (3), Victor Smolski (3), Daniel Dring (3), Mischa Blum (11)
Lars Zehner (1, 5, 8), Björn Sondermann (2, 3, 4, 6, 7, 9), Sabir Salkic (11)
Eigenvertrieb
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2011