Zurück

Reviews

Alamaailman Vasarat: Huuro Kolkko

Stil: „Geile und punkige Geheimagenten-Musik“

Cover: Alamaailman Vasarat: Huuro Kolkko

INSEKTEN! INSEKTEN? IN?SEK!TEN?!

Ein immer wieder beliebtes Thema für:
a) Kammerjäger;
b) Horror-Filme;
c) Schmuddelhotels;
d) Progressive Rockmusik!

Wollen wir nun ein paar Minuten beim Punkt d) verweilen!

Eine der wohl interessantesten musikalischen Versionen zu dem Ungezieferthema lieferte bisher die schwedische Band CARPTREE mit „Insect“ ab. Retroprog der allerersten Güteklasse. Samt einem Cover, auf dem eine Heuschrecke über ein sich widerspiegelndes Kindergesicht läuft.

Eine der wohl ungewöhnlichsten, gänzlich undefinierbaren musikalischen Interpretationen zu diesem Thema bietet nunmehr eine komplett anders ausgerichtete skandinavische Band aus Finnland an: ALAMAAILMAN VASARAT mit „Huuro Kolkko“. Samt einem Cover, auf dem die unterschiedlichsten Käfer aufgespießt worden sind.

Schon der Bandname, der jedem germanisch geschulten Vokal-Zeitgenossen einen ähnlichen Zungenbrecher zu bieten hat wie „Fischers Fritze“, ist nicht etwa eine finnische Spinnerei, sondern steht für „Die Hämmer der Unterwelt“. Nun will ich hier nicht darüber philosophieren, welche Hämmer da denn gemeint sind – und hoffe doch insgeheim nicht auf die aus der Werkzeugkiste. Allerdings legt solcher Name durchaus die Vermutung nahe, dass die sechs Herren aus dem Land der Saunen nicht mehr alle Kohlen auf dem Kessel oder Latten am Zaun haben. Womit sie sich natürlich (sogar musikalisch) in die Gilde einer Band wie die französischen MÖRGLBL einreihen. Nur wer kennt die? Obwohl, ein genauerer Blick auf unseren Seiten verschafft diesbezüglich sofort Klarheit.

Noch nachdenklicher und verunsicherter wird man, wenn unsere finnischen Jungs auch noch ihre eigene Definition zu ihrer Musik geben, die ihnen garantiert eingefallen ist, als sie in der Sauna verstohlen ihre Gemächte verglichen haben: „geile und punkige Geheimagenten-Musik“! Spätestens jetzt zweifelt man auch noch an jeder einzelnen Tasse, die sie in ihrem Musikschrank verbergen. Die Typen sind echt auf den Elch gekommen!

Wenn mir einer nach diesem „Vorwort“ erklären kann, welche Musik ihn wahrscheinlich erwarten wird, dann gebe ich ihm sofort einen aus! Das Allerschlimmste aber ist wohl, dass selbst nach dem x-ten Hördurchgang sogar ich kaum einem Leser dieser Kritik erklären kann, was für unbeschreibliche Musik ihm hier geboten wird. „Geile, punkige Geheimagenten-Musik eben“! Und damit will ich diese Kritik beenden – doch halt, hier fehlt noch was!

„Huuro Kolkko“ und seine Insekten. Oder besser die Geschichte, die sich dahinter verbirgt sowie die Auflösung des musikalischen Rätsels um die in der Unterwelt hämmernden, geilen Geheimagenten!

Seit fast 15 Jahren musizieren die Finnen mit dem komischen Namen nun schon und brachten es auf insgesamt vier Alben (dieses inklusive) sowie einige Konzerttourneen (Japan, USA, Portugal, Holland, Schweden) und wahrscheinlich eine ähnlich verrückte Anhängerschar wie sie selbst. Warum erwähne ich gerade das? Es ist von ungeheurer Wichtigkeit für „Huuro Kolkko“.

Anfang des Jahres 2008 nahm ein großer Fan der Band Kontakt mit ihnen auf. Sein Name war RICHARD KOLKKO und er hatte ungeheuerliche Dinge von einem entfernten Verwandten geerbt: alte Fotos, zerbrochene Insektensammelbüchsen, Notizen und ein robustes Tagebuch. Der Name dieses „entfernten Verwandten“ sollte nicht schwer zu erraten sein, oder?

HUURO KOLKKO war Anfang des 19. Jh. ein Forschungsreisender, der alle unentdeckten Fleckchen dieser Erde mit seinen Füßen zu „beflecken“ versuchte und dort beispielsweise auch Insekten sammelte. Besondere öffentliche oder wissenschaftliche Anerkennung erhielt er dafür kaum und so juckte es auch niemanden, als er während des ersten Weltkrieges in Marokko für tot erklärt wurde. Zumindest juckte es keinen bis zum Jahre 2008, in dem ihm durch ALAMAAILMAN VASARAT ein musikalisches Denkmal gesetzt wurde.

Huuro Kolkko wird rein instrumental zu Grabe getragen, wobei das Cello eine ganz besondere Rolle spielt. Wem dabei APOCALYPTICA einfallen, der liegt gar nicht so falsch. Nur müssten besagte Cellisten sich dann mehr dem Punk, verrückter Psychedelic und dem Klezmer zuwenden. Doch nicht nur das. Sie müssten zusätzlich auf die eigenartigsten Instrumente, wie Theremin (Ätherwellen-Geige) oder Tubax (Kontrabass-Saxofon) und vieles mehr zurückgreifen. Was dabei heraus kommt, ist wohl eine der verrücktesten Musik-Mischungen, die ich je gehört habe.

In „Mileisaurus“ trifft ein rockiges Schlagzeug auf Trompeten, Celli, Saxofon, Pump-Orgel und Melodica, um einem dieses Gemisch mal laut, mal leise um die Ohren zu hauen. Da krabbeln einem die aufgespießten Käfer des Covers in die Gehörgänge, drehen dort ihre Runden und lassen es ordentlich kribbeln. Auf „Liskopallo“ drehen sie sich zu Walzermelodien und beschließen ihre harmonische Vereinigung, die ein wenig nach den 30er-Jahren klingt. Zeit zum Entspannen für den Hörer – bis dann die Pump Orgel einen finsteren Moment einleitet, der toll zur Untermalung eines Horrorfilms geeignet wäre. Dagegen bietet „Meressä Ei Asuta“ die filmmusikalische Umsetzung eines James-Bond-Films an, die plötzlich einen kurzen Ausflug in Richtung Free-Jazz unternimmt. Spätestens in diesem Moment überrascht es wohl keinen mehr, dass ALAMAAILMAN VASARAT in Finnland schon mehrer Animationsfilme vertont haben.

„Huuro Kolkko“ ist die musikalische Grabrede für einen weltreisenden Insektensammler, der ohne einen Fan der Band und die Begeisterung der Musiker für dessen Nachlass in Vergessenheit geraten wäre. Was schreibe ich hier nur? „Huuro Kolkko“ ist die verrückte Wiedergeburt eines verrückten Typen, die man einfach gehört haben muss, weil sie schlicht und ergreifend unbeschreiblich ist.

FAZIT: So vielfältig wie die Insekten auf dem Cover ist auch die Musik. Ein wenig beängstigend, ein wenig lustig, ein wenig aggressiv und ganz gewaltig abwechslungsreich. Vergesst APOKALYPTICA, hier kommt ein wilder und zugleich entspannter Musik-Mix aus Rock, Punk, Jazz, Worldmusic und Traditionals, der sogar einen ausgestopften Elch-Kopf wieder zum Leben erweckt oder zumindest ein Grinsen auf dessen Backen zaubert!

PS: Und die ganze musikalische Faszination funktioniert sogar ganz ohne Gitarren! Eine weitere verrückte Erkenntnis!

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.03.2011

Tracklist

  1. Mielisaurus
  2. Liskopallo
  3. Meressä Ei Asuta
  4. Natiivit
  5. Luonto Tuli Lähelle
  6. Tujuhuju
  7. Luola
  8. Omalla Ajalla
  9. Lautturin Viivat

Besetzung

  • Bass

    Stakula

  • Keys

    Mikka Huttunen

  • Schlagzeug

    Teemu Hänninen

  • Sonstiges

    Stakula (Saxophone, Klarinetten, Eb Tubax, Bambus Sax, Shehnai), Erno Haukkala (Trombone), Mikka Huttunen (Melodica), Marko Manninen (Cello & Theremin), Tuukka Helminen (Cello)

Sonstiges

  • Label

    Nordic Notes / Laskeuma Records

  • Spieldauer

    39:49

  • Erscheinungsdatum

    21.10.2009

© Musikreviews.de