Kaum zu glauben, aber wahr: Zum ersten Mal seit 1875 scheint bei ANVIL die Erfolgskurve wieder nach oben zu zeigen. Nach dem famosen Dokumentarfilm „The Story Of Anvil“, bei der man abwechselnd lachend, weinend und fremdschämend vor dem Fernseher saß, erwachte plötzlich das öffentliche Interesse an der kanadischen Metal-Legende. 30 Jahre zu spät, aber besser spät als nie.
Nach diversen Liveauftritten auf größeren Festivals oder auch als Support für AC/DC hat das Kulttrio anscheinend wieder richtig Blut geleckt, denn mit „Juggernaut Of Justice“ haut man ein Album raus, das in der Bandhistorie ganz, ganz weit oben angesiedelt werden muss – und die Jungs haben ja nun gerade in den Anfangstagen so manchen Klassiker veröffentlicht.
„Juggernaut Of Justice“ bietet auf der einen Seite den ganz klassischen Anvil-Sound: Riffs im Mount-Everest-Format, treibende Drums, ganz einfach der urtypische Heavy Metal: trocken und hart, aber auf Melodien basierend. Der Titeltrack beispielsweise, der die knappe Dreiviertelstunde eröffnet, ist ebenso wie das priestlastige „The Ride“ ein wahres Paradebeispiel. Für den Anvil-Sound im Speziellen. Für Heavy Metal im Allgemeinen.
Schön ist, dass die Kanadier auf ihrem 14. Studioalbum großen Wert auf Abwechslung legen. „New Orleans Voodoo“ ist ein fieser Kriecher, der mit seinen Sabbath-Monsterriffs die Wirbelsäule hoch schleicht, „On Fire“ ist so etwas wie Motörhead auf Metal, „Fukeneh!“ eine Hymne vor dem Herrn, „Turn It Up“ punkig angehaucht, „When All Hell Breaks Loose“ oder „Running“ Anwärter auf den Galopper des Jahres, „Paranormal“ ein siebenminütiger, schwermütiger und böser Kloß im Hals, und das furiose „Swing Thing“, das seinem Namen wirklich alle Ehre macht, beendet nach nicht einmal 45 Minuten schon wieder eine fantastische Scheibe, die einerseits klassisch, andererseits aber unfassbar frisch und unverbraucht klingt, traditionell, aber nicht angestaubt. Und dass Lips die beste Gesangsleistung seit mindestens 20 Jahren auf CD gebannt hat, sorgt für einen weiteren Pluspunkt.
FAZIT: „Jetzt wollen wir musikalische Gerechtigkeit“, sagt Lips. Was eigentlich Quatsch ist: Musikalisch müssen ANVIL nicht für Gerechtigkeit sorgen, schließlich stehen die Kanadier stets für mindestens solide Alben. Jetzt geht es darum, endlich einmal Geld zu verdienen mit der Musik – was zweifellos der Band zu gönnen wäre. Doch vermutlich wird man leider irgendwann einmal sagen: Nicht mal mit dem besten Alben der Bandgeschichte haben ANVIL den großen Durchbruch geschafft. That’s Metal. Dafür sind Lips und Drummer Robb Reiner in Sachen Authentizität und Integrität das, was Metallica beim Erfolg sind.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.06.2011
Glenn Five
Steve „Lips” Kudlow
Steve „Lips” Kudlow
Robb Reiner
Steamhammer/SPV
44:55
17.06.2011