Nach den Demos „From The River To The Sea“ (1992) und „Infant Hercules“ (1993) war “Goodbye To the Age Of Steam” 1994 das erste reguläre Album der britischen Band. Doch so richtig zufrieden waren BIG BIG TRAIN nie damit. Zu unfertig erschien es der Gruppe. Und so machte man sich nach „London Boy Wonders“ daran, den Bandklassiker 2011 mit verändertem, aufwändigerem Artwork, klanglich überarbeitet und mit drei zusätzlichen Bonustracks bestückt, neu aufzulegen. „Far Distant Thing“ vom „Infant Hercules“-Demo, das neu aufgenommene und thematisch zum Album passende „Expecting Dragons“ sowie eine aufgebohrte Variante von „Losing Your Way“ winken zum Abschied des „Dampfzeitalters“. Während „Far Distant Thing“, nur echt mit quietschigem VAN-HALEN-Keyboard, ein etwas holperiger Popprogger ist, sind die letzten beiden Stücke ein gefühlvoller Schlussakkord von mehr als einer Viertelstunde. Wobei vor allem das neu aufgenommene Instrumental „Expecting Dragons“ eine feine, filigrane Elegie auf den Spuren „Selling Englands By The Pound“ ist.
Zu den frühen BIG BIG TRAIN fallen einem zuerst Un-Worte ein. Die aber nicht un-bedingt negativ besetzt sind: Unaufgeregt, unspektakulär, unauffällig…
Das beginnt beim damaligen Sänger Martin Read, der keineswegs schlecht, aber leicht blässlich singt. Die Songs plätschern angenehm vor sich hin, mal gibt es eine kleine Genesis-Reminiszenz wie die akustische Gitarre bei „Dragon Bone Hill“ oder die Pianoläufe während „Head Hit The Pillow“ und „Blue Silver Read“. Doch im Großen und Ganzen passt die Musik sehr gut ins Vorprogramm von JADIS (welches BIG BIG TRAIN tatsächlich damals gestalteten) oder IQ in der Phase um „Are You Sitting Comfortably“. Nicht umsonst leistet ein Gutteil der IQ-Mitglieder Gastarbeit auf „Goodbye To the Age Of Steam”.
Handwerklich gibt es wenig auszusetzen. In der aktuellen Version glänzt das unscheinbare Kleinod sogar etwas mehr als früher. BIG BIG TRAIN haben bei allem, was sie tun, einen eigenen Zungenschlag, der ein bisschen vom relaxten Fusion-Sound STEELY DANs in die normalerweise aufgeregtere Welt des üppigen Progressive Rock bringt. Strotzt nicht vor großen Melodien und Höhepunkten, ist aber ein angenehmer und wenig störender Begleiter in vielen Lebenslagen. Und ab und an gibt es doch kleine erlesene Momente, die das genaue Hinhören lohnen.
Dass BIG BIG TRAIN ein gutes Jahrzehnt später zu ganz großer Form auflaufen würden, und das ab „Bard“ gleich mehrfach, ist mit „Goodbye To the Age Of Steam” aber kaum zu erahnen.
FAZIT: Die Tafelmusik des Progressiv Rock. Geschmackvoll, nicht zu seicht, aber auch nicht sonderlich waghalsig. Passt noch besser zur Zigarre, dem Espresso oder dem Verdauungsschnaps danach. Natürlich genossen im Wintergarten, während draußen in der Ferne die letzte Dampflok von einer Vergnügungsfahrt in den heimischen Museumsbahnhof zurückkehrt. Wie es alle sechs Monate an einem Sonntag geschieht.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.05.2011
Andy Poole, Rob Aubrey (pedals)
Martin Read, BV: Rob Aubrey, Ken Bundy, Gary Chandler, Sally French, Stuart Nicholson, Martin Orford, Mandy Taylor
Greg Spawton
Andy Poole, Greg Spawton, Ian Cooper
Steve Hughes
Steve Christey
English Electric Recordings
73:43
18.04.2011