Zurück

Reviews

Cliffhanger: Dug Out Alive! 1993 - 2001

Stil: Progressive Rock

Cover: Cliffhanger: Dug Out Alive! 1993 - 2001

Unfassbar: Da schickt eine dem Rezensenten glatt unbekannte Band unaufgefordert satte zehn Stunden Musik zu, die auf Augenhöhe mit alten wie neuen Prog-Helden rangiert. CLIFFHANGER aus den Niederlanden sind ein altgedientes Quartett, das gut zehn Jahre lang nichts Neues mehr hörbar gemacht hat (zuletzt "Circle" zur Jahrtausendwende über Musea Records, nunmehr endgültig aufgelöst) und jetzt in Eigenregie eine Double-Layer-DVD veröffentlicht, die sich hören und auch ein bisschen sehen lassen kann.

"Dug Out Alive!" lässt sich ob der allen Standards gerecht werdenden DVD-Menüführung bestens bedienen; die einzelnen Aufnahmesessions sind mit ihren Stücken gesondert anwähl- und durchschaltbar, dazu gibt es dezente Standbilder und nicht etwa nervige Slideshows. Das Debütdemo von 1993 zeigt eine mit Hinblick auf Dick Hejboers Spiel sehr stark von ELP geprägte Band, während die Rhythmusgruppe mit gehörig Schmackes auftrumpft (das grandios verzahnte "Views"). "Cliffhanger Live" wurde im Studio eingespielt und erinnert bisweilen an MARILLION, weil viele der Stücke, vor allem "Good Things", an deren Frühphase mit Fish erinnern.

Rinie Huigen hat nicht die ausdruckskräftigste Stimme, versteht jedoch etwas von Melodien, und eingedenk seiner intelligenten Arrangements im Gruppenverband entstanden angenehm zeitlose Epen, die auf "Burden" beinahe zur Perfektion ausgearbeitet wurden. Naturgemäß gibt es ob der vielen Live-Beiträge zahlreiche Song-Überschneidungen, die zumindest die Entwicklung der Gruppe treffend nachzeichnen. Man lasse sich aber gerade die Live-Darbietungen auf der Zunge beziehungsweise im Lauschkanal zergehen: Wie viele selbsternannte Innovatoren, die sich heuer im Heimstudio eins zurechtschummeln, sind überhaupt in der Lage, so tight und dennoch befreit aufzuspielen, was sie am PC zusammenschneiden? Die in letzter Zeit schwer blutarme Prog-Posse aus Osteuropa, aber auch weichzeichnende Emporkömmlinge aus Großbritannien dürfen sich von den alten CLIFFHANGER genauso etwas abschneiden wie von ihren Vorbildern aus dem Seventies, die sie nicht verstanden zu haben scheinen.

Sicher, auch die Holländer emulierten letztlich, was damals schon alt war und heute noch älter ist, aber wie gesagt, die Kompositionen sind zeitlos und werden den Säulenheiligen gerecht. Weiterentwickelt hat man seinen Stil über die Jahre hinweg nicht, dafür aber die eigenen Fähigkeiten als Komponisten Außerdem: Der prominente, oft melodieführende Bass von Gijs Koopmans macht Chris Squire keine Schande, und die erwähnten Musiker an den Melodieinstrumenten verstehen immens viel von ihrem Handwerk, weshalb Liebhaber von Virtuosität, die nicht allein dem Selbstzweck dient, bei CLIFFHANGER ebenfalls bestens aufgehoben sind. Zuletzt noch: Der Videomitschnitt kommt im bombigen Sound und professionell mit mehreren Kameras gefilmt. Die Holländer waren augenscheinlich eine starke Live-Band, und für den Genrefan gilt absolute Anhörpflicht. Zeit zum Wiederentdecken der Alben.

FAZIT: Man ist geneigt, keiner (!) Musikgruppe gegenwärtig mehr Gegenwert fürs Geld zu attestieren als CLIFFHANGER. Wer holländischen Prog schätzt (EGDON HEATH, RICOCHER), muss hier definitiv zugreifen und sich ein paar Tage Urlaub nehmen.

Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.08.2011

Tracklist

  1. Cliffhanger Demo
  2. Cliffhanger Live
  3. Burning Alive!
  4. Live At De Boerderij
  5. Live At Chateau
  6. Mirror Live
  7. Burning
  8. Live At De Tavenu
  9. Live At Willem II (Mpeg2)

Besetzung

  • Bass

    Gijs Koopman

  • Gesang

    Rinie Huigen

  • Gitarre

    Rinie Huigen

  • Keys

    Dick Heijboer

  • Schlagzeug

    Hans Boonk

Sonstiges

  • Label

    Eigenvertrieb

  • Spieldauer

    595:33

  • Erscheinungsdatum

    19.08.2011

© Musikreviews.de