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David Lynch: Crazy Clown Time

Stil: Rock 'n Roll / Surf Rock / Trip Hop / Blues Rock / Elektro

Cover: David Lynch: Crazy Clown Time

Warum so kompliziert gedacht? Eigentlich ist es doch alles ganz einfach mit David Lynch. Nahm er nicht immer schon Befindlichkeitszustände als Zentrum seiner Arbeiten? Emotionen also, die jedem von uns vertraut sind? Bei „Eraserhead“ war es die Angst vor dem Verlust der Individualität angesichts des Industriezeitalters, bei „Blue Velvet“ der Horror der blankpolierten Kleinstadtfassade und bei „Mulholland Drive“ die Melancholie einer in Hollywood für immer verloren gegangenen Authentizität. Die Rätsel hat sich der Zuschauer jeweils selbst auferlegt, wenn er auf Dinge wie Kontinuität und Logik achtete. Dabei muss man doch einfach nur erkennen, was auf der Hand liegt: Selbst wer glaubt, mit Lynchs Arbeit nicht klar zu kommen, wird von ihr zumindest emotional nicht kalt gelassen.

Natürlich ist bei Lynch trotzdem nichts so, wie es auf der Oberfläche scheint; vermeintliches Glück ist Schrecken und umgekehrt. Er bedient sich des Poststrukturalismus. Im Gegensatz zu Vertretern der Tarantino-Richtung stellt er das Ursprüngliche jedoch nicht zur Schau, sondern lässt es natürlich wirken. Und es ist gerade diese Natürlichkeit, die das Unbehagen bereitet, wenn Lynch sie verzerrt, dehnt, falsch zusammensetzt.

So und nicht anders funktioniert auch das Debütalbum des Multitasking-Künstlers: Es beruft sich auf Vertrautes, bleibt in seinen Inhalten klar (ja fast banal) und gewinnt erst durch die surreale Zusammensetzung seine abgründige Wirkung. „Crazy Clown Time“ – der Clown darin und seine verrückte Gemütslage spiegeln wider, wie gesetzt und urtümlich Lynch seine Kunst definiert. Sie klingt wieder nach vielen alten Dingen – den BEACH BOYS, ELVIS PRESLEY, TOM WAITS, den BEATLES – Dinge, die in der Musik als wegbereitend und grundlegend erachtet werden und vor allem in ihrer Schlichtheit überzeugen. Von Gefrickel und allzu verkopftem Haudrauf-Experimentalismus hält sich Lynch erwartungsgemäß fern – „progressiv“ und „avantgardistisch“ mag man das schon nennen, aber nicht im technischen Sinne.

So dreht sich inhaltlich also alles um Vokabeln wie „laughing“, „crying“, „good“, „bad“, horror“, „luck“, um Entitäten wie Traum und Wirklichkeit, um Kompliziertes, das aus dem Profanen wächst. Gleich im ersten Titel besingt Karen O (YEAH YEAH YEAHS) eine(n) Pinky, der / dem sie aus dem Gesicht abzulesen versucht, ob sie / er weint oder lacht. Der mit reichlich Delay versehene Sound gibt sich von Anfang an im Stil der Aufnahmetechnik der 50er Jahre: Rockabilly, Rhythm and Blues, Rock and Roll zu Petticoats und hochgesteckten Fönfrisuren. Echte Mindfucks bleiben natürlich aus, sind aber auch nicht zu erwarten gewesen; schon die Filme bestanden schließlich zu mehr als der Hälfte aus Musik. „Crazy Clown Time“ ist kein Debüt im konventionellen Sinne, versteht sich.

Mit „Good Day Today“ gibt der Meister selbst dann seinen Einstand als Sänger und lässt sich das Mikrofon sowie seinen Vocoder fortan nicht mehr aus der Hand nehmen. Nun ergibt sich ein doppeltes Problem: „Good Day Today“ ist eine Elektro/House-Nummer und symbolisiert das ausbrechende Moment des gesamten Albums: Es dekonstruiert mit seiner modernen Ausrichtung zum einen den eher altmodischen Sound der meisten anderen Stücke, zum anderen versucht es, elektronische Tanzmusik im Allgemeinen durch die banale Refrain-Zeile „I wanna have a good day today“ ironisch zu brechen. Das gelingt aus zweierlei Gründen nicht: Erstens klingt das gesamte Stück zu sehr nach Genre-Imitat. Zweitens: Lynch selbst funktioniert als Sänger nicht.

Letzteres Problem schlägt sich eklatant auf das gesamte Album nieder. Er spielt viele Rollen, einen Footballspieler etwa (ganz offensichtlich mit Football in der Fressleiste) oder einen halb kindlich naiven, halb psychopathischen Clown mit sexueller Störung. Manche funktionieren aufgrund ihrer Absurdität (der Clown) und weil durch ihre Darstellung abgründige Bilder vor dem inneren Auge entstehen, insgesamt stellt man sich aber eher einen alten Mann mit Vocoder auf dem Schoß vor, der nicht singen kann und zu feige ist, ein Instrumentalalbum auf den Markt zu bringen oder zu eigensinnig, um noch mehr Gäste ans Mikrofon zu lassen. Die Stimmverfremdung, die im Lynch’schen Kosmos durchaus eine Berechtigung hätte, verkommt dadurch zum reinen Zweckmittel.

Denn rein musikalisch ist nur wenig zu beanstanden. Nach „Good Day Today“ wird man mit feinsten Trip-Hop-Klängen verwöhnt; insbesondere „Noah’s Ark“ überzeugt mit einem lässigen Beat, düsteren Ambient-Skulpturen und dezentem Scratching, alles in der Schnittmenge zwischen ARCHIVE, PORTISHEAD und BLACKFILM. Darüber hinaus wird hier angenehmerweise nur geflüstert statt gesungen – eine Entlastung vor dem anstehenden „Football Game“-Genuschel und dem sehr gezogen genölten „I Know“, dessen Hammonds allerdings wunderbar die 60er herauskehren.

Was dann folgt, ist so etwas wie die geistige Wiederauferstehung von “Twin Peaks”. Die TV-Serie um die tote Laura Palmer kam zwar damals mit Müh und Not auf nur zwei Staffeln, konzipiert war sie aber als Endlosserie, als zynischer Kommentar zum Kontinuitätsformat damals gängiger Soap-Opera-Ware. Das musikalisch wie aus einem Robert-Rodriguez-Streifen entflohene „Strange And Unproductive Thinking“ simuliert diese Unendlichkeit im längsten Albumtrack mit einer monotonen Computerstimme, die ohne syntaktische Gliederung und nur strukturiert durch das notwendige Aus- und Einatmen scheinbar unsinnige Gedankenfetzen ausspuckt wie der Hybrid in „Battlestar Galactica“. Gelesen werden kann das als Gegenentwurf zum sorgfältig ausgearbeiteten Konzeptalbum und als Plädoyer für die Spontaneität. Was in der Theorie allerdings spannend klingt, wird zumindest bei mehrfachem Durchlauf relativ nervig.

Wie um seine Erkenntnis zu bestätigen, experimentiert Lynch dann auf „The Night Bell With Lightning“ eifrig mit dem Vibratohebel. Auf „Stone’s Gone Up“ vermischt sich dumpfer „Umpf“-Beat mit Westerngitarre, die bei PUSCIFER ähnlich zum Einsatz gekommen wäre. Der Titeltrack bietet dann eindeutig den bildhaftesten Beitrag: Eine Groteske, die das Missbrauchsdrama aus dem „Twin Peaks“-Kinofilm in ein noch surrealeres Setting bettet. „These Are My Friends“ knüpft schnell noch direkt an das legendäre „Just You And I“ aus Twin Peaks” an; der Rest ist relaxter Ausklang.

FAZIT: Wäre das ein feines Album… wenn es doch nur jemand anders eingesungen hätte! „Crazy Clown Time“ ist gespickt mit Referenzen auf die 50er und 60er Jahre, mitunter auch auf die 70er, 80er und 90er, die allesamt ebenso grundlegend funktionieren wie schon unter Mitwirkung von Stammkomponist Angelo Badalamenti in den Filmen. Nur des Meisters Stimme taugt kaum für mehr als den skurrilen Auftritt in einer Nebenrolle (wie eben schon bei „Twin Peaks); dass er die Hauptrolle diesmal für sich beansprucht, ist zwar schlüssig, macht das Resultat aber auch nicht besser. Es verhindert das vollständige Eintauchen in die wie immer bizarr-schöne Parallelwelt des David Lynch.

Punkte: 8/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.11.2011

Tracklist

  1. Pinky's Dream
  2. Good Day Today
  3. So Glad
  4. Noah's Ark
  5. Football Game
  6. I Know
  7. Strange And Unproductive Thinking
  8. The Night Bell With Lightning
  9. Stone's Gone Up
  10. Crazy Clown Time
  11. These Are My Friends
  12. Speed Roaster
  13. Movin' On
  14. She Rise Up

Besetzung

  • Bass

    Dean Hurley

  • Gesang

    David Lynch, Karen O ("Pinky's Dream")

  • Gitarre

    David Lynch, Dean Hurley

  • Schlagzeug

    Dean Hurley

  • Sonstiges

    David Lynch (Synthesizer, Percussion, Omnichord), Dean Hurley (Synthesizer, Hammond-Orgel)

Sonstiges

  • Label

    Sunday Best Recordings

  • Spieldauer

    68:51

  • Erscheinungsdatum

    04.11.2011

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