Wo soll das bei DEFEATER noch hinführen? Das 2008er Debüt „Travels“ war schon der helle Wahnsinn, die ein Jahr später nachgeschobene „Lost Ground“-EP war dem Longplayer mindestens ebenbürtig, und nun kommt das Quintett aus Massachusetts mit dem neuesten, zweigeteilten Werk „Empty Days & Sleepless Nights“ aus den Puschen und toppt die beiden Dinger, ganz locker aus der Hüfte. Mal eben so. Selbstauferlegte Messlatte mit viel Luft dazwischen übersprungen. Ganz easy.
Teil eins des Albums beinhaltet zehn Stücke vielschichtigen, progressiven, intelligenten und hochemotionalen Hardcores, welcher sich kaum mit anderen Bands vergleichen lässt – bestenfalls MILES AWAY, VERSE oder HAVE HEART kämen einem da halbwegs in den Sinn, und doch würde dies eher der Definition vager Orientierungspunkte dienen. Das leidende, unter die Haut gehende Organ von Shouter Derek, die ausgeklügelte Laut-Leise-Dynamik, die Symbiose aus Komplexität und Eingängigkeit, das Wechselspiel zwischen Harmonie und Disharmonie, die omnipräsenten Melodien, welche mal plakativ, dann wieder subtil in die Gehörgänge kriechen, die Verbeugung vor der alten Schule und der gleichzeitige Kniefall in Richtung Moderne, und das alles mit so unglaublich viel Gefühl – „überwältigend“ ist da maßlos untertrieben. Die Jungs beherrschen hierbei eines perfekt: Obwohl die Amerikaner immer wieder in fremden Genres wie Postrock und Alternative streunen gehen, verwässern sie niemals ihr Selbst. Diese eigenwillige Art des Grenzenüberschreitens-und-irgendwie-doch-nicht macht die DEFEATER letztendlich zu einer ganz besonderen Band.
Nach elf Minuten Pause, wodurch das Album auf eine Nettospielzeit von etwa 49 Minuten kommt, folgt Teil zwei des in ein wunderschönes Büchlein gehüllten Tonträgers. Hier zeigt das Fivepiece, dass es auch ohne laute Gitarren und Geschrei wirkungsvolle und ergreifende Songs schreiben kann. Stark an US-Singer/Songwriter-Kost angelehnt, zeigt Frontmann Derek außerordentliches Talent in puncto melodischen Gesanges, flankiert wird er lediglich von Akustikgitarren und gemäßigtem Schlagzeug, gelegentlich auch von Cello, Geige und einer Pedal-Steel-Gitarre. Bei diesen vier Songs hat man oft das Gefühl, man säße mit den Jungs am Lagerfeuer, und kurz vor deren späterem Aufbruch resümiere man dann mit glücklich-glasigem Blick, wie verdammt schön, wie wundervoll der Abend war.
FAZIT: Mit „Empty Days & Sleepless Nights“, das die US-Nachkriegsfamilien-Thematik weiterführt, haben sich die fünf zum zweiten Mal selbst übertroffen. Ich traue mich gar nicht, die Höchstnote zu vergeben, denn wie anfangs erwähnt: Wo soll das bei DEFEATER noch hinführen? Bei „Travels“ dachte ich bereits: ‚Besser geht es nicht!‘ – und die Band lieferte mit „Lost Ground“ ein ‚Doch, ätsch!‘ ab. Nach „Lost Ground“ dachte ich wieder: ‚Dieses Mal geht es aber wirklich nicht besser!‘ – und die Band konterte mit einem weiteren ‚Doch, ätsch!‘ in Form dies vorliegenden Werkes.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.04.2011
Mike
Derek, Jay
Jay, Jake
Andy
Bridge Nine
60:02 minus ca. 11:00 Pause
11.03.2011