Schon vor einem Jahr erwähnte Udo Fischer im Musikreviews- Interview "Cogitatum Scurrilis" als nächsten Schritt im END TIME CHANNEL-Universum. Seither hob er im Workaholic-Style mal eben ein neues Projekt aus der Taufe (LOW ORBIT DRIFT), um es aus dem Stand heraus mit zwei Schnellschüssen zu unterfüttern ("Wheels In Motion", "Locations Of Light"), die aber keineswegs nach Schnellschüssen klangen; vielmehr nach Äonen von Zeit. Während man also so im All waberte und die Sternensprenkel genoss, hatte man auch viel Gelegenheit, über den ohnehin schon episch klingenden lateinischen Titel der neuen Episode des Hauptprojekts nachzugrübeln, der übersetzt soviel bedeutet wie "merkwürdiger Gedanke". Und dabei auch noch den erhabenen Untertitel "Planet Of Ghosts" trägt. Wem mag man es verdenken, der sich daraufhin vielleicht so etwas wie ein zweieinhalbstündiges Konzeptdoppelalbum vorstellt, möglicherweise gar das Epizentrum und der Point-Of-No-Return, bei dem der Weg zurück ans Ufer weiter ist als der, der einem noch bevorsteht.
Geworden ist's schließlich bloß eine Single-Track-EP mit der mageren Spielzeit von 22 Minuten. Nicht nur überrumpelt Fischer damit seine Hörer, eigener Aussage nach überrumpelte er sich damit auch selbst. Geplant war das so nicht, aber warum etwas künstlich in die Länge ziehen, wenn es so passt, wie es ist?
Vergleiche mit dem unernsten "Robot Army"-Interludium verbieten sich auf Anhieb. Trotz seiner Kürze beeinflusst "Cogitatum Scurrilis" die zentrale Storyline ganz offensichtlich. Die Frage ist, auf welche Art und Weise, denn keine bisherige ETC-Veröffentlichung geizte bislang mehr mit Informationen. Fest steht, dass das "Planet Jumping" nach "Vern - The Jungle Planet" weitergeht, doch wofür steht "Planet Of Ghosts"? Ist es Symbol einer verlassenen Erde, über der nur noch der Nachhall einer ausgelöschten Menschheit liegt wie Sumpfnebel? Ist es ein neuer Schauplatz irgendwo in den Untiefen des Weltalls? Oder ist gar unser roter Nachbar, der Mars gemeint, in Anspielung auf "Mars. Planet der Geister", einen längst vergessenen Science Fiction-Roman von Peter Dubina?
Anyway – der 22-Minüter ist in fünf Akte zu untergliedern. Der ziemlich exakt fünf Minuten andauernde erste Akt erinnert mit seinen tieftraurigen Streichern frappierend an Mark Snows herausragendes Thema zur TV-Serie "Millennium". Begleitend wirft man automatisch das Kopfkino an und stellt sich einen Cinemascope-Schwenk über eine in Düsternis getauchte leere Welt vor. Das ist auch dem neu entdeckten Trend Fischers geschuldet, sich auf Soundtracks zu spezialisieren. Filmnähe war END TIME CHANNEL seit jeher gegeben, inzwischen bewegt sich das Projekt auch akustisch so weit wie nur irgend möglich auf den Film zu.
Die nächsten knapp drei Minuten sind von träge abschallenden, dumpfen Tribals geprägt, zu denen sich wiederkehrend etwas Raschelndes bewegt, das an Bambustürvorhänge erinnert und plötzliche, geisterhafte Bewegung suggeriert.
Im Weiteren bäumt sich ein melancholisches Gerüst aus Streichern auf, das in NINE INCH NAILS-ähnliche elektronische Rhythmik einläuft, bevor das Thema wiederholt wird.
Dann kehren nochmals die Streicher der Eröffnung zurück, begleitet von mechanischem Blubbern, bevor eine Zeitreise zu den Anfängen stattzufinden scheint: die letzten fünf Minuten gehören weiblichem Gesang und einer jazzigen Klavier- und Beckenbegleitung. Wie seinerzeit im "Valuna Twilight Café". Diesmal leiht jedoch nicht Areeg Mulhi, sondern Marion Preus dem Projekt ihre Stimme (und ihre Texte). Es ist allem Anschein nach keine tatsächliche Rückkehr dorthin, wo alles anfing, sondern eher in eine Art Parallelwelt oder, je nach Interpretation, in einen luziden Traum.
Nicht nur durch den Wegfall von Füllsequenzen optimiert Fischer also sein Projekt und bietet nur noch seinen musikalisch konzentrierten Rahm an, auch inhaltlich steuert er weg von der meist präsenten Linearität seiner Geschichte und lässt genug Raum für Interpretationen und Überraschungen. Was man auf "Cogitatum Scurrilis" zu hören bekommt, hat durchweg Hand und Fuß, so dass die Entscheidung für die kurze Laufzeit einer EP als konsequent zu bezeichnen ist.
FAZIT: Der Episodenhaftigkeit des 22-Minüters hört man an, dass ursprünglich ein ganzes Album geplant war. So nun bekommt man das Beste vom Besten komprimiert aus einer Session, die bislang immer für einen ganzen Longplayer gereicht hat. "Cogitatum Scurrilis" ist, obgleich Fischer immer noch eine dezente Affinität zur Gimmicklastigkeit vorgeworfen werden kann, von vorne bis hinten ein wundervolles, abwechslungsreiches und in allen Belangen stimmiges Hörerlebnis irgendwo zwischen Progressivität, Easy Listening und Emotional Intelligence. Gelingt es ihm, diese hohe Qualität mal auf Albumlänge zu bringen, dann kann es für END TIME CHANNEL anschließend eigentlich nur noch abwärts gehen.
Ein kostenloser Download ist über LastFM möglich. Der Link ist oben hinterlegt.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.02.2011
Marion Preus
Udo Fischer (Alles)
Eigenproduktion
22:22
01.02.2011