Seit ihrem Debüt „Principium“ 1993 frönen GARDEN WALL der heftigeren Spielart des italienischen Progressive Rocks. Spielte die Band zu Beginn noch eine fast symphonische Variante mit nur sporadischen Ausflügen in die Poly- bis hin zur fast freejazzigen Kakophonie, so machte das dritte Album „The Seduction Of Madness“ seinem Namen alle Ehre. Bis heute.
Spätestens mit „Forget The Colours“ (2002) kam eine nicht zu überhörende Vorliebe für brazzige Gitarren und eine ganz eigene Vorstellung von Progressive Metal hinzu. DREAM THEATER und ähnliche Bands sind dabei weit entfernt; GARDEN WALL folgen eher den Spuren, die die ruppigsten Erscheinungsformen KING CRIMSONs und vor allem PETER HAMMILL (dessen Stimme Alessandro Seravalle in seinen besten und wildesten Momenten recht nahe kommt) und sein VAN DER GRAAF GENERATOR in der Musikwelt hinterließen. Ein GENERATOR allerdings, der meist unter Hochdruck arbeitet.
„Assurdo“ ist die konsequente und filigranere Weiterführung des rohen „Forget The Colours“. Ein Fluss, der aus reißenden Stellen, Strudeln, Wasserfällen, aber auch sanft dahin gleitenden Passagen besteht. Jazz, Folk, Metal, Neoklassik, Funk, Weltmusik, Theater-, Kinomusik und natürlich Progressiver Rock der komplexen Art ergeben eine eigenwillige Melange, die GARDEN WALL tatsächlich zu einer ziemlich unverwechselbaren Band werden lässt. Das ist keine Musik, die man en passant hören kann, sondern eine, die den Hörer fordert und gelegentlich verstört, dann wieder mit zarten Melodien versöhnt. Brachial, aber nicht von einer Härte beseelt, die ihre Kraft im Rausch der Geschwindigkeit sucht. Dazu Texte (meist in passablem Englisch) wie Pamphlete vorgetragen. Angst, Hass, Enttäuschung, Schmerz, das Gegenteil erfleht, keine Sonne, keine Gedanken, kein… nichts und bei Rot die Straße überquert.
Ein konsequentes Album. Innen wie außen. Eine spannende Reise, auf die sich GARDEN WALL vor knapp 20 Jahren begeben haben. Die Zahl derjenigen, die ihnen dabei gefolgt ist dürfte allerdings überschaubar sein. Wer reinschnuppern möchte: Mit „Path Of Dreams“ beginnen, über „The Seduction Of Madness“ weiter machen und noch nicht bei „Assurdo“ enden. Anschließend den Kollegen MR. DOCTOR und seine DEVIL DOLL zur Entspannung hören.
FAZIT: Vermutlich ist ein Werk wie „Assurdo“ kommerzieller Selbstmord. Aber künstlerisch ein Pool, in dem sich (besonders) gediegener Progressive Rock die dringend benötigten Auffrischungen holen kann. GARDEN WALL sind eine ganz eigene Marke, und das will zu Beginn des von Kopien überfluteten 21. Jahrhundert etwas heißen.
„Assurdo“ ist der perfekte Soundtrack zu einem italienischen Giallo, in dem die große Oper und ihre Angehörigen von einem durchgedrehten Messerschwinger blutig verhackstückt wird. Muss man sich drauf einlassen. Wenn man es tut, gibt es viel zu entdecken. Das Album wächst in seiner vielfältigen Geschlossenheit von Mal zu Mal. Und wird immer besser.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.11.2011
William Toson, Carlo Franceschinis (8)
Alessandro Seravalle, Flavia Quass (4)
Raffaello Indri, Alessandro Seravalle
Alessandro Seravalle, Alessandro Bertoni (9), Cristian Rigano (3), Giorgio Pacorig (3)
Ivan Moni Bidin, Gianpietro Seravalle, Pietro Sponton (3), Andrea Fontana (4), Jacques Centonze (8)
Gianpietro Seravalle, Davide Casali (5), Mariano Bulligan (9), Simone D'Eusaniol (1,2,8), Massimo De Mattia (9,10), Pietro Sponton (4)
Lizard Records
67:36
28.07.2011