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Ictus: Imperium

Stil: Hardcore/Metal - Achtung! Nicht Metalcore!

Cover: Ictus: Imperium

Es ist schwer erklärlich und doch völlig logisch, dass diese begnadete Band nahezu unbekannt ist, was sich unter anderem darin äußert, dass lediglich eine – sehr kurze – Rezension in deutscher Sprache im Netz zu kursieren scheint. Ein Umstand, der unbedingt geändert werden muss.

Logisch ist der geringe Bekanntheitsgrad, weil ICTUS ideell 100% Hardcore sind und daher keines der Symptome der „Morbus Nuclear Blast“ wie quietschbunten Werbeoverkill, grenzdebile Promofotos, seelenlosen Platiksound oder formatgerechte Singlehits zeigen. Hier sprechen nur Musik und Inhalt, und um die kennen zu lernen, muss man sich um die Kenntnis bemühen, dass dieses Kleinod überhaupt existiert.

Schwer erklärlich bleibt dennoch, warum in Zeiten des Internets nicht mehr Menschen in das Genie der Spanier eingeweiht sind. Zwar ist der Ansatz schon ziemlich experimentell, aber keinesfalls schwierig und fährt überfallartig in Kopf und Glieder, wie es das in vergleichbarer Form weder im Metal, noch im Hardcore, noch sonstwo zu hören gibt. Experimentell ist das Ganze dadurch, dass „Imperium“ aus einem einzigen, knapp 40-minütigen Stück besteht, das sich inhaltlich mit der Entstehung, dem Aufstieg, Wirken und unvermeidlichen Fall von Imperien beschäftigt. Die spanischen Texte – oder vielmehr der Text – liegt der LP-Version in englischer und deutscher Übersetzung bei, so dass das Verständnis kein Problem darstellt.

Musikalisch lassen sich ICTUS nur schwer auf ein Genre reduzieren und schon garnicht mit dem Stempel „Metalcore“ versehen. Der Hardcoreanteil ist der Portland-Schule um TRAGEDY oder FROM ASHES RISE verwandt, doch glänzt „Imperium“ zusätzlich noch mit Riffs, wie sie DARK TRANQUILLITY oder AT THE GATES zu deren besten Zeiten eingefallen sind. Und obwohl mir persönlich Melodien im Death Metal meilenweit am Allerwertesten vorbei gehen, macht diese Art, Gitarre zu spielen, im Crust-Rhythmus plötzlich nicht nur Sinn und Spaß, das Ergebnis ist unglaublich treibend und sprüht vor entfesselter Energie. Der Song ist bei genauem Zuhören in Kapitel unterteilt, so dass zwar alles ineinander fließt, aber dennoch sehr vielfältig und variantenreich tönt. Einmal liegt der Fokus auf Crust und Hardcore, dann wieder auf Metal, doch alles wirkt wie aus einem Guss. Sämtliche Stereotype, die einem bei der Nennung der Begriffe "Metal" und "Hardcore" im selben Satz in den Sinn kommen mögen, wie Kajalstift, Breakdowns oder Bollo-Gehabe, werden dabei komplett außen vor gelassen, was man den Jungs nicht genug danken kann. Die Produktion könnte unmöglich noch direkter sein, es knallt und scheppert an allen Ecken und Enden. Die einzige Ausnahme bildet das akustische Interludium in der Mitte mit einem kaum wahrnehmbaren Moment der Stille – hier wird die LP umgedreht. Doch zurück zum Klangerlebnis. Man höre nur den wunderbaren Beckensound (das sind die glänzenden Blechdinger am Schlagzeug, die man auf Metalscheiben fast nie richtig hört) oder die kratzigen Gitarren, denen man nicht alle Frequenzen amputiert hat, die irgendwie ballern, sondern sich daran erinnert hat, dass heftige Musik auch gern einen heftigen Sound haben darf. Das alles geht nicht zulasten der Transparenz, alles ist präsent und gut hörbar. Der Toningenieur der Scheibe hat es nicht nur furchtbar drauf, er sollte auch (ebenso wie TRAGEDY-Engineer Dan Rathbun) vielen Metalbands einmal dringend empfohlen werden, damit ihre Platten nicht immer so scheiße klingen.

Schließlich ist ein häufiger Lapsus des untergründigen Hardcore und Crust die mangelnde Spieltechnik, doch hier gibt es Entwarnung – die Jungs wissen genau, was sie tun.

FAZIT: Bands wie TRAGEDY oder ICTUS repräsentieren heute den Gegenentwurf zu Kommerz und Pop, Schablonen und Inhaltsleere, der auch Metal einmal gewesen ist. Spielerische Einbußen muss man dabei kaum noch hinnehmen und klanglich wird dieses Inferno der Musik viel besser gerecht als die Werke der Herren Sneap, Suecof, Hansen & Co. Wer noch einen Plattenspieler besitzt, sollte sich das edle Vinyl besorgen, aber Hauptsache, man kommt als Freund von Aggression, Melodie, Botschaft und wahrer Authentizität überhaupt in den Genuss von „Imperium“.

P.S. Wie immer bei Lieblingsplatten ist die Punktzahl streng subjektiv.
P.P.S. Die Besetzung mag unvollständig sein, die Nennung von Namen gilt solchen Bands oft schon als zu viel Personenkult.

Punkte: 15/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.04.2011

Tracklist

  1. Imperium

Besetzung

  • Bass

    Silvia

  • Gesang

    Nacho Rengifo

  • Gitarre

    Nacho Rengifo

  • Schlagzeug

    Fernando

Sonstiges

  • Label

    Alerta Antifascista

  • Spieldauer

    39:00

  • Erscheinungsdatum

    13.04.2007

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