Hand. Hammered. Piano. Craft.
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Klingt wortwörtlich wie Musik in den Ohren. Fast so, als wären wir zurück in der Industriellen Revolution. Gar nicht so unklug, in Zeiten getriggerter Drums, computererzeugter Effekte und synthetischer Produktion auf Handgemachtes zu setzen und es soweit zu betonen, dass der Staub beim Anschlag sichtbar in der Luft zirkuliert. Bastian Emig knüpft an alte Zeiten an, als Musik noch organisch und selbst gemacht war.
Nicht, dass das schon alles wäre. IN LEGEND spielen Piano Metal – darum geht es in erster Linie. Piano Metal, das ist in Anlehnung an den Cello Metal von APOCALYPTICA die dogmatische Idee, Heavy-Metal-Strukturen anhand von klassischen Instrumenten zu imitieren, ohne dabei auf das typische Instrument, die Gitarre, zurückzugreifen. Eine Vorgehensweise, die Emig dank seines Engagements bei der Heavy-Metal-A-Cappella-Gruppe VAN CANTO nicht ganz fremd ist.
Das hat immer noch einen aufregenden und experimentellen Charakter, gerade auch, weil es erstaunlicherweise noch nicht viele Bands gibt, die sich in diese Richtung wagen. Andererseits sind darin auch gimmickhafte und affektierte Eigenschaften verborgen, die solcher Musik immer einen Hauch von Remix verleihen – vielleicht mit ein Grund, weshalb das METALLICA-Tribute, eine Cover-Sammlung also, immer noch zu den populärsten Veröffentlichungen APOCALYPTICAs zählt.
Emig, der einen Teil seiner Kindheit in Afrika verbracht hat und auch ein Jahr lang in China mit den Thrash Metallern NARAKAM spielte, führt beide Seiten mit seiner multikulturellen Ausbildung bis an die Grenzen. Tatsächlich ist "Ballads 'N' Bullets" eine neue Erfahrung von Musik, etwas, für das sich eine Expedition auszahlt. Es klingt frisch, aufregend, unverbraucht und vor allem macht es seiner Tagline alle Ehre: Tatsächlich hört man jede Tastenbewegung heraus, man spürt die Federn, Hämmer und Dämpfer arbeiten, den Resonanzboden vibrieren, das Gehäuse atmen. Partikel schwirren durch die Luft, Schweiß perlt auf den Lack. Die extrem voluminöse Produktion spielt dabei natürlich eine gewichtige Rolle. Die Kompositionen indes sind durch die Bank catchy, ein Stück brennt sich besser ein als das andere – keine wirklichen Ausfälle unter all den Powerballaden, die gesammelt Heavymetallisch sprechen.
Andererseits ist "Ballads 'N' Bullets" zugleich ein Verkaufsgespräch, ein überlanger Werbetrailer für das Klavier, eine Demo für die Power der Piano-Engine. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass IN LEGEND Musik nicht der Musik wegen spielen, sondern des Instrumentes wegen. Der Schönheit von Musik, die Instrumente als Medium einsetzt, anstatt sie als Protagonisten zu inszenieren, wird man damit kaum erreichen können, egal, wie groß der "Wow"-Faktor zu Anfang auch sein mag.
So hat das Longplayer-Debüt dann auch wirklich einen Hauch von Remix-Album an sich. Emig beschreibt seinen Sound als "Tori Amos auf Koks", womit er der Wahrheit näher kommt als ihm vielleicht lieb sein dürfte: Ein Original, kopiert durch eine Brille der Exzentrik. Ebenso klingt "Ballads 'N' Bullets" mit seinen dampfkesselartigen Rhythmen und den darüber gelegten Chören sehr oft nach einer eigenwilligen Bearbeitung von FEAR-FACTORY-Material ("Heaven Inside", "Pandemonium", "Elekbö", "Prestinate"), angereichert mit kurzen Momenten, die ebenso gut aus der Feder von RIVERSIDE stammen könnten – inklusive Gesang (Opening von "Soul Apart"). Auf "Vortex" wird dank Dosenpublikum und Jahrmarktseffekten in Verbindung mit Emigs anpeitschendem Shouting sogar kurz mal SCOOTER geschnitten (!).
Und apropos Gesang. Emig beweist eine erstaunlich facettenreiche Stimmfärbung, die prinzipiell durchaus in das klassisch geprägte Gerüst des Projektes passt. Dennoch wirkt sie aufgrund der Betonung der Tastenklänge mitunter fremdkörperartig. Nicht, dass sie entbehrlich wäre; ohne Vocals würde das Album noch viel eher abstumpfen als ohnehin. So gleich bleibend die Qualität der Songs auch sein mag, mit der Zeit nimmt die Aufmerksamkeitsspanne beim Hören ab. Zwar folgt der Aufbau vom rockigen Beginn bis zum melancholischen Ausgang archetypischen Blues- und Hard-Rock-Platten der frühen 90er (vor allem GUNS N' ROSES), die instrumentell oft sehr vielseitig waren; während das Piano damals allerdings nur Akzente setzte, ist es hier eben Alleinunterhalter.
FAZIT: Das klingt nun alles dramatischer als es ist. Mit IN LEGEND hat Bastian Emig ein innovatives Projekt auf die Beine gestellt, das immerhin für ein paar Momente des Staunens gut ist und sehr sympathisch wirkt in dem Anliegen, das Handgemachte in der Musik zu betonen. Zwar wirkt alles etwas inszeniert und präpariert, im Endeffekt leiht man einer derart ambitionierten Sache aber viel lieber sein Gehör als dem tausendsten uninspirierten Paket aus Mikro, Schlagzeug, Bass und Gitarre, das so sein will wie alle anderen. In Zahlen gesprochen: Ein 10-Punkte-Album, das ich wesentlich lieber empfehle als die meisten anderen 10-Punkte-Alben. Nicht Wenige werden da noch bis zu 5 weitere Punkte draufschlagen.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.04.2011
Daniel Wicke
Bastian Emig
Dennis Otto
Bastian Emig (Piano)
Oblivion / SPV
58:06
20.05.2011