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Introvision: 08:36:59

Stil: Titanic-Prog-Rock

Cover: Introvision: 08:36:59

Auf diesem Album liegt in gewisser Weise für mich, den Kritiker, ein „Fluch“!
Schon immer bin ich davon überzeugt gewesen, dass besonders in der anspruchsvolleren progressiven Rockmusik, die neben extrem versponnenen, auch wundervolle Konzeptalben hervorgebracht hat, Text bzw. Story und die Musik eine untrennbare Einheit ergeben. Und wenn es beiden Komponenten gelingt, sich gemeinsam zu ergänzen und die Stimmungen auf den interessierten Hörer zu übertragen, dann haben wir es mit einem großen musikalischen Gesamtkunstwerk zu tun, wobei auch die Gestaltung des Albums eine zusätzliche Rolle spielen sollte. Und so habe ich beim Hören von „08:36:59“ der Costa Ricaner INTROVISIÓN regelrecht gelitten – manchmal wegen der Musik, aber oft auch wegen der Texte, die ich nicht verstehe, da sie in Spanisch gesungen werden. Zum Glück aber hilft mir das interessant illustrierte Booklet ein wenig dabei, die Handlung zu begreifen.

Die konzeptionelle Idee hinter „08:36:56“ ist durchaus grandios. Es geht darin um einen Seefahrer, der zwar ein Schiffsunglück überlebt, aber nun in den Weiten des Ozeans, auf Rettung hoffend, treibt. Das Album lotet dabei die extreme psychologische Situation des langsam Ertrinkenden zwischen Hoffen und Resignieren aus. Damit werden der Musik jede Menge Spielräume eingeräumt, die sie leider nicht immer zu nutzen versteht, sondern manchmal ein paar Längen auftauchen oder übertriebene Härte mit einem gewissen Nervfaktor auftritt.

„Momentum“ beginnt mit einem bedrohlichen Brummen, das sich in musikalische, an KING CRIMSON erinnernde Ausbrüche ergießt. Kein Wunder, denn so ziemlich jedes Musik-Inferno, das KING CRIMSON besonders auf ihren frühen Werken zu entfachen verstanden, könnte locker als Soundtrack zum titanischen Schiffeversenken verstanden werden. So ist es dann auch kein Wunder, dass KING CRIMSON immer mal wieder auf „08:36:59“ die Anker lichten. Dem gegenüber stehen einige angenehme akustische Gitarreneinlagen, die mitunter beim Hören des Albums eine regelrecht befreiende, erlösende Wirkung haben. Ähnlich wie der spanische Gesang, durch dessen Nähe zum Französischen oder Italienischen Berührungspunkte zu PFM, LE ORME oder BANCO, was selbstverständlich auch an der Intonation durch WIL ACUMA liegt, auftreten.

Doch während die erste Hälfte des Albums durch viel Abwechslungsreichtum und Stimmungsschwankungen geprägt ist, verstört einen die zweite Hälfte ihrer übertriebenen Härte wegen doch sehr. Hier wird besonders die Prog-Metal-Fraktion bedient, mit treibendem Drum-Sound, bretternden Gitarren, hämmernden Bässen und viel zu zurückhaltenden oder sich ständig wiederholenden Keyboardsätzen. Den Überlebenskampf eines den Fluten ausgelieferten Seemanns hätte ich mir diesbezüglich doch ein wenig anders vorgestellt. Weniger kraftvoll, dafür atmosphärischer, symphonischer und bedrückender. Mich zumindest überzeugt der zweite Teil von „08:36:59“ genauso wenig wie der seltsame Titel des Albums. Wofür steht der nur? Blöd ist er irgendwie schon!

Und wäre da nicht noch der letzte versöhnliche Song, der ruhig, beinahe balladenartig ausklingt und sogar ein paar angenehm jazzige Momente sowie ein Flötensolo enthält, dann wäre die Punktwertung wohl noch etwas mehr in den Keller gerutscht – oder besser gesagt, untergegangen!

FAZIT: Dies ist zwar kein 08-15-, dafür aber ein „08:36:59“-Album. Welche Symbolik sich dahinter auch verstecken mag, die Musik ist deutlich durchschaubarer. Auswechselbarer Prog-Rock, der extrem mit dem Metal liebäugelt und dabei eine gute Text-Idee in der einen oder anderen musikalischen Tiefe untergehen lässt. Das Titanic-Album des modernen Prog-Metals!

Punkte: 8/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.10.2011

Tracklist

  1. Momentum
  2. Endo
  3. La Tierra de Nadie
  4. Desenfreno
  5. Reencarnaciones
  6. Nivulocartro
  7. 08:36:59 / El Umbral de la Liberación Interior
  8. La Hoguera

Besetzung

  • Bass

    Michael Muñoz

  • Gesang

    Wil Acuña

  • Gitarre

    Marcos Solano, Michael Muñoz, Roberto Mata

  • Keys

    Andrés Corrales

  • Schlagzeug

    Mauricio Delgado

  • Sonstiges

    Ana Castro (Flöte) & Gloriella Villalobos (Sopran) auf La Hoguera

Sonstiges

  • Label

    Eigenvertrieb / Just For Kicks

  • Spieldauer

    77:33

  • Erscheinungsdatum

    07.10.2011

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