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Inyaka: Erdaufgang

Stil: Ein akustisches Abenteuer im orchestralen Gewand!

Cover: Inyaka: Erdaufgang

Was wohl passiert, wenn aus Pablo Picasso ein Inkasso-Fall wird?
Ganz einfach – dann kommt auf spitzbübischen Musikwegen die deutsche Band INYAKA daher und macht einen Titel daraus: „Pablo Inkasso“.
Nur wie klingt solche künstlerische „Einzugsforderung“?
Diese Antwort ist schon etwas schwerer, auch wenn die vier musikalischen INYAKA-Herren, die ihre Leidenschaft mit Bass, Gitarre, Schlagwerk, Chorgesängen sowie Alt- und Bariton-Saxophon zum Klingen bringen, ihre eigene, bis dato komplett unbekannte Schublade dafür gefunden haben: „Ein akustisches Abenteuer im orchestralen Gewand“!
Alles klar?
Nein?
Hier kommt der Versuch einer Antwort.

INYAKA spielen und experimentieren nicht nur voller Ironie und dem Hang zur Perfektion mit Worten, die einen verstörten, aber gleichermaßen neugierig gewordenen Betrachter zurücklassen, sondern setzen genau das gleiche Gefühl in ihrer musikalischer Ausrichtung um, deren Dreh- und Angelpunkt eindeutig im modernen Jazz liegt, der durchaus auch mal zu freien Höhenflügen ansetzen darf, ohne jedoch auch nur einmal aus der Bahn zu geraten. „Erdaufgang“ klingt mitunter so undiszipliniert, dass sich dahinter eine strenge musikalische Disziplin verbirgt, ohne die man solch ein Musik-Gemisch gar nicht hinbekommen würde. Und wer fällt einem in solchen Momenten ein, wenn man an „verrückte Musik“ organisiert von einem bis zur Pedanterie gehenden Musik-Perfektionisten denkt? Nur einer: FRANK ZAPPA!

Allein diese Erkenntnis war mir Anlass genug, einfach bei dem INYAKA-Oberbläser MARKUS KRÖGER nachzufragen, was die vier Osnabrücker Jungs denn bei ihrer Musik, außer den „Eukalyptischen Reitern“ noch so zusätzlich reitet. Und Markus' Antworten waren genauso scharf- und spitzzüngig – und natürlich ganz besonders informativ – wie von mir insgeheim erwartet:
„Allgemein kann man sagen, dass wir immer sehr viele Späße, Witze, Wortspiele und Parodien bereits bei den Proben einbringen. Über die Jahre hinweg gibt es immer gewisse Insider, die dann irgendwann 'gesättigt' sind oder 'out' und durch aktuelle ersetzt werden. Oft machen wir uns gegenseitig über uns lustig, sei es über ROBERTs Hang zu Anthroposophie (Spirituelle Weltanschauung, deren Ziel es ist, den Menschen in seiner Beziehung zum Übersinnlichen zu betrachten – T.K.) oder FALKs Ostdeutscher Hintergrund (Weniger spirituelle, dafür diktatorische DDR-Sozialisierung, der sich auch der Kritiker dieses Albums unterziehen musste! T.K.) , EDINS Leidensgeschichten vom Unterrichten (Unspiritueller Versuch, Kindern selbst unter den Bedingungen des deutschen Bildungs{un}wesens noch Freude am Lernen zu vermitteln! T.K.) oder meinen Trierer Dialekt (Dazu fällt mir jetzt überhaupt nichts Spirituelles mehr ein! T.K.).
Viele Witze bauen wir auch in den Ansagen bei den Konzerten ein und die Hintergründe der 'Titelnamen' sind oft hinzugedichtet und werden bei den Ansagen auch eingebunden.“

Allein der musikalische Entwicklungsweg von MARKUS KRÖGER gibt ein wenig auch die INYAKA-Orientierung wieder:
„Ich bin in Trier aufgewachsen, habe dort viel Metal und Rock gehört. Hab' 2007 eine Platte mit der Ska-Core Band 'The Bandgeek Mafia' aufgenommen, bevor ich mich nur noch auf das Jazzstudium in Osnabrück konzentriert habe. Dort hat sich dann auch das INYAKA-Projekt gefestigt.“

INYAKAs Musik ist eine Art Bindeglied zwischen Musik-Strömungen und -Stilen, die kaum vereinbar erscheinen. Eben ein „akustisches Abenteuer im orchestralen Gewand“. Doch selbst diese Beschreibung trifft es nicht. Vieles an „Erdaufgang“ ist akustisch, doch das Orchestrale hat nichts mit bombastischen Orchesterklängen zu tun, sondern eher damit, welche vielfältigen Möglichkeiten musikalischen Auslebens ein Orchester bietet – und INYAKA nimmt sich das Recht heraus, ihrem limitierten Instrumentarium die Vielfalt ihrer Ideen entgegenzusetzen, für deren Verwirklichung es fast eines Orchesters bedürfte. Besonders hilfreich ist ihnen dabei eine Gemeinsamkeit, die unüberhörbar den „Erdaufgang“ ausmacht:
„Da wir alle die Musik von FRANK ZAPPA mögen, haben wir auch viele Sachen gecovert und somit dürfte auch eine wichtiger Einfluss für die Eigenkompositionen genannt sein. Außerdem auch ENNIO MORRICONE, etwas BEATLES, HERMETO PASCOAL (Brasilianischer Multiinstrumentalist, der als eine wahre Jazz-Koryphäe gilt – T.K.), natürlich BACH und STRAWINSKY und zahlreiche Jazz-, Rock-, Flamenco- sowie Welt- und Klassikmusiker.“

All diese Einflüsse sind tatsächlich auf dem Debüt-Album von INYAKA zu hören, dessen Grundgerüst von experimentierfreudigem Jazz zusammengehalten wird. In den schönsten Momenten des „Erdaufgang[s]“ erwecken unsere vier Osnabrücker Jungs den Eindruck, als hätten sich PAT METHENY und FRANK ZAPPA zusammengetan, um ein „verrücktes Jazz-Album“ aufzunehmen, dem man die Einflüsse beider Musiker anhört, das aber in dieser Kombination gefälligst ganz anders als deren eigenen Werke zu klingen hat. In den schwächsten Momenten allerdings, wie beispielsweise in den „Eukalyptischen Reitern“, plätschert die Musik ein wenig zu entspannt vor sich hin – so als würde die Apokalypse mal kurz dadurch verschoben werden, indem man die bösartigen Stänkerer durch die Verabreichung eines Eukalyptus-Bonbons ruhig stellt. Interessant ist hierbei auch, dass MARKUS KRÖGER diesen Titel als Musiker gänzlich anders als ich, der Kritiker, empfindet, wie er mir mit folgenden Zeilen zu verstehen gab:
„'Die Eukalyptischen Reiter' dürfte durch die 5 Teile wie eine Geschichte wirken, oder wie ein Film, der von diversen Dingen, wie einer Schlacht, handeln könnte. (1. Teil: Die ermutigende Rede vor der Schlacht, 2. Teil: Die Schlacht, 3. Teil: Rückzug und Strategiewechsel, 4. Teil: Großer Showdown der Gefühle).“ - Allein in dieser von beiden Seiten (Musiker & Kritiker) unterschiedlichen Wahrnehmung der „Eukalyptischen Reiter“ liegt schon wieder ein ganz besonderer Reiz!

Dagegen sind Markus und ich uns bei „Die Wundersame Mandarine“ absolut einig: „'Die Wundersame Mandarine' ist ein Stück von EDIN (Gitarre), der ebenfalls aus ursprünglich vielen Titeln bestand, sich im Laufe der Jahre zu einem Großen Epos entwickelt hat. Hier wollen wir uns auch von unserer gefühlvollen und ausdrucksstarken Seite zeigen.“ Absolut zutreffend – ein wahrhaft emotionaler und beeindruckender Titel, ähnlich wie der fantastische „Opus Dei“, der jede Menge Dramatik und „entsetzliche Ehrfurcht“ ausstrahlt.

Wie dem auch sei – die Zeit für den holterdipolterfreien „Erdaufgang“ ist reif, auch ohne medizinische „Nik Vapurup“-Stimulanzen (MARKUS KRÖGER: „'Nik Vapurup' ist genau wie 'Pablo Inkasso' und 'Holterdipolka' ein Wortspiel von Robert [Drums], der das ganz im Kontext der Konzeptes sieht, den genaueren Hintergrund aber dem Zuhörer bzw. Zuschauer überlässt.“) oder die Feststellung, dass man, bzw. Sie, so glücklich beim Hören ist, dass es einen fast schon wieder traurig stimmt.

FAZIT: „Der Worte sind genug gewechselt, lasset uns nun Noten hören!“ Ein Jazz-Album nicht wie ein Sonnen-, sondern ein „Erdaufgang“ - immer bodenständig, aber nie den Weg des geringsten Widerstands wählend. Gerade darum erhebt es sich mitunter in die unendlichen Höhen eines akustischen Abenteuers im orchestralen Gewand, das vom Geiste eines ZAPPAs durchdrungen ist.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.09.2011

Tracklist

  1. Pablo Inkasso
  2. Opus Dei
  3. Die Eukalyptischen Reiter
  4. Nik Vapurup
  5. Holterdipolka
  6. Die Wundersame Mandarine
  7. Im Jahr Des Purmuzan Shutn
  8. She Is So Glad That She Is So Sad

Besetzung

  • Bass

    Falk Ostendorf

  • Gitarre

    Edin Mujkanovic

  • Schlagzeug

    Robert Riebau

  • Sonstiges

    Markus Kröger (Alt- und Baritonsaxophon)

Sonstiges

  • Label

    Eigenvertrieb

  • Spieldauer

    54:24

  • Erscheinungsdatum

    30.09.2011

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