Nachdem die Finnen im Jahre 2005 bereits die „Mind-Soup“ angerichtet hatten, folgt drei Jahre später das musikalische Hauptgericht. Ach was, Hauptgericht, was schreibe ich hier? Es ist ein 10-Gänge-Menue voller unterschiedlicher Geschmacksrichtungen. Wer sich an JEAVESTONE wagt, der könnte auch versuchen beim Chinesen, Inder, Türken, Griechen und sonstwem gleichzeitig zu essen – musikalische Beschallung inklusive. Alles schmeckt irgendwie traditionell, aber gewöhnungsbedürftig und nach dem Essen freut man sich bereits auf die nächste überraschende kulinarische Runde – und erst die Musik versetzt dann neben dem Gaumen auch noch die Ohren in die entsprechende (Hoch-)Stimmung.
„Spices, Species And Poetry Petrol“ ist die finnische Version von FRANK ZAPPAs „Joe’s Garage I“, natürlich ohne den Central Scrutinizer. Verrückt und melodiös, voller abgefahrener, ironischer Texte und musikalischer Ideen – die sich nicht eine Minute lang zu ernst nehmen – und die man heutzutage nur noch dem längst verstorbenen Großmeister zuschreiben würde. Die einzige Musikrichtung, die diesbezüglich zu kurz kommt, ist die Klassik. Also, wer ZAPPAs „Yellow Shark“ mag, der sollte lieber vorher mal bei JEAVESTONE reinhören.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, welches Glücksgefühl ich als ehemaliger ZAPPA-Jünger hatte, als ich das erste Mal FROGG CAFÉ hörte. Eine amerikanische Band, die ZAPPA regelrecht in ihrer Musik huldigten und damit auch stark nach ihm klangen. Allerdings begingen sie nie den Fehler, ihn ernsthaft zu kopieren, da sie Trompeten und Violinen deutlich mehr Spielräume gestatteten, als es ein ZAPPA je zuließ.
JEAVESTONE dagegen huldigt eher den Ideen eines ZAPPAs und klingen musikalisch nicht wie er, sondern ihre Musik ist einfach mental genauso verrückt. Eine zappaeske „Mind-Soup“ eben, die diesmal den Titel „Spices, Species And Poetry Petrol“ (Zappaesk, oder???) trägt! Hinzu kommt noch, dass ganz in ZAPPAs Sinne das Booklet des extrem psychedelisch gestalteten Digi-Packs ein Schwarz-Weiß-Comic ist, das die abgefahrene Geschichte von der JEAVESTONE-Suche nach dem verlorenen Musiker erzählt. Genauso abgefahren natürlich wie die Musik des Silberlings.
„Quela Puente!“ hat bereits was Klezmerartiges. Oder besser gesagt klingt der Song so, als hätten sich ein paar Juden zum traditionellen Musizieren zusammengefunden, um dabei zu entdecken, dass knackiger Rock am Ende doch abgefahrener ist als Klezmer. Allerdings stellt sich dann wieder ihr jüdisches Gewissen ein und sie verfallen zurück auf ihre traditionelle Spielart. Und über allem thront der charismatische Gesang von JIM GOLDWORTH, den ein geübter Hörer garantiert immer wieder zu erkennen vermag. Komisch, aber mir fällt da als vergleich höchstens BRIAN CONNOLLY von THE SWEET ein. Allerdings hält dieser Vergleich nur bis „Daytime Escape / Veijo The Rattlesnak“ an, weil GOLDWORTH plötzlich so klingt, als hätte ein JON ANDERSON von YES seine Stimme wiedergefunden, um eine weitere naturgeprägte Solo-Scheibe aufzunehmen. Dazu noch ein paar Flötentöne und zarte akustische Gitarrenklänge – woher kennen wir das nur?!
Zuvor standen dazu jedoch im krassen Gegensatz „The Power Of Swankle“ – eine Kombination aus PETER GABRIELS „Barry William’s Show“ & ZAPPAs „Wet-T-Shirt-Party“ sowie (PIERRE MOERLEN’S) GONG – und „I’d Be Your Weakness“, wo Erinnerungen an die leider längst vergessenen RENAISSANCE aufkommen, was auch an dem beeindruckenden Gesang von Angelina Galactique liegt.
Folk, Prog, Psychedelic, Jazz, Space-Rock, Weltmusik, 60er- & 70er-Jahre-Feeling mit einer gehörigern Portion Flower Power – all das bekommt der geneigte und für alles offene Hörer von den fünf Finnen geboten. Grenzenlose Musik aus dem kleinen Land, in dem der Elch zum Symbol wurde. Da scheiße ich gerne auf den deutschen Adler – der hat sowieso keine Eier, ganz im Gegensatz zu dieser finnischen Elch-Musik. Vielleicht kann sich ja auch noch jemand an JADE WARRIOR erinnern, eine mir sehr ans Herz gewachsene Band … in JEAVESTONE findet auch sie ihre Fortsetzung.
„Rapist’s Tango“ ist dann wie selbstverständlich anfangs auch kein Tango, sondern ein fast metallischer Kracher, der, man glaubt es kaum, dann wirklich in einen klassischen Tango übergeht, um am Ende wieder wie ein ZAPPA-Song zu klingen. Man(n)/Frau sollte das Tango-Ball-Kleid getrost im Schrank lassen. Nach solchen verqueren Rhythmen kann sowieso kein Mensch tanzen.
Im Stile eines Kinderliedchens, das manchmal etwas nach „Sandmann, lieber Sandmann“ klingt, kommt dann der „Erg“ instrumental daher und leitet „Your Turn To Run“ ein. Einen Song, der von ständigen Wechseln lebt und jede Beschreibung unmöglich macht.
Höhepunkte!? Die gibt’s auf dieser CD nicht, denn jeder einzelne Song steht für sich – ist ein eigener Höhepunkt. Es kommt einfach darauf an, in welcher Stimmung man sich gerade befindet. Für mich ist der abschließende Dreiteiler allerdings einer besonderen Hervorhebung wert. Streicher eröffnen die „Unschuld“, dazu sanfter männlicher und weiblicher Gesang und zarte Erinnerungen an „I Talk To The Wind“ von KING CRIMSON. Flöten leiten zu den „Stimmen der Schatten“ über, die dann kurz in harten Rock übergehen und eindeutig an JETHRO TULL erinnernde Klänge, die von metallischen Gitarren weggerockt werden, welche genauso plötzlich in Pop-Melodien und Satzgesänge übergehen. Zum Schluss dann die (progressiv klingende, etwas an PINK FLOYD erinnernde) „Erleichterung“. Aber nicht, weil das Album beendet ist, sondern darüber, dass es an jedem CD-Player eine Repeat-Taste gibt.
FAZIT: Genauso farbenfroh und abgefahren (Mein Lieblingswort in dieser Kritik!) wie das Cover dieses Albums ist auch die Musik, die sich dahinter verbirgt. Musik, die sich in fast allen Stilrichtungen zuhause fühlt und deshalb mit jedem Hördurchgang spannender wird. Langeweile war gestern, JEAVESTONE ist heute!
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.01.2011
Tommy Glorioso
Jim Goldworth
Jim Goldworth, Mickey Maniac
Jim Goldworth, Angelina Galactique, Mickey Maniac
Kingo
Angelina Galactique (Flöte und Hintergrundgesang), Mickey Maniac (Hintergrundgesang), Pekka Seppänen (Saxofon), Marjuka Man & Senni Sofia Prippo (Violinen), Anna Jaatinen (Cello), Julia Rutio (Viola), Veera Sämsä (Oboe)
Nordic Notes / Presence Records
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06.06.2008