Black-Metal-Differenzprinzip
Neugier bringt die Katze um, sagt der Volksmund. KAMERA OBSKUR ist ein dahingehend gefahrenreiches Projekt: Constantin König, einer von drei Köpfen der ehemaligen Black-Metal-Institution LUNAR AURORA, goes "beyond Black Metal" – das ist sicher nichts für schwache Nerven. Weniger ist hier die Suche nach einer neuen Heimat zu erwarten, eher schon nach einem aufregenden Abenteuer. Mit dem Bandkollegen Bernhard Klepper, Marcel Breuer (NOCTE OBDUCTA) und Dirk Rehfus holt sich König Gefährten ins Boot, die ihm allesamt sicher begeisterungsfreudig und treu, aber ebenso blind folgen wie er selbst es ist, denn man frönt schließlich der gleichen musikalischen Gesinnung – keine einheimischen Sherpas für den einstweiligen Ausritt, keine Karte, die einen Weg vorgibt. Ein gemeinsamer Sprung Verbündeter in kalte, unbekannte Gewässer – und dann… ja dann?
Die "Camera Obscura", die Lochkamera, ist eine ob ihres klangvollen Namens bereits abgenutzte, in ihrer Konstruktion aber vorzüglich passende Metapher für den auf "Bildfänger" zelebrierten Experimentalismus. Der Schritt aus der dunklen Traumwelt des Black Metal ins (temporäre) Licht der neuen Einflüsse, das Festhalten an anachronistischen Hilfsmitteln der Imagination, die aber eindeutig auf Fortschritt ausgelegt sind… wunderbar dokumentiert die Projektbezeichnung Herkunft und Absicht der Gefolgschaft.
Schnell wäre gesagt, dass "Bildfänger" als Ergebnis der Wünschelrutenreise "sperrig" sei und "schwer zu greifen"; schnell auch sind zwei Lager bezogen, bei denen eines nicht müde wird, die Meisterhaftigkeit zu preisen und die andere nicht schnell genug die Mülltonne aufgesucht hat. Wie so oft liegt die Wahrheit zwischen den Lagern: so reizvoll die Idee ist, sich mal nicht fließend und langsam, sondern mit einem Ruck von den Dogmen zu lösen, die sich vielleicht unbemerkt eingeschlichen haben, so wenig ist die Idee alleine ein Garant für die musikalische Qualität.
Was auf den ersten Blick verheißungsvoll nach dem Suspense einer Taschenlampe klingt, die in ihrem begrenzten Lichtkegel immer wieder geometrische Fragmente neuer Gegenstände erhascht, folgt im Endeffekt viel zu überzeugend diesem Bild: KAMERA OBSKUR beschwören es nicht einfach in künstlerischer Absicht, so wie das stilisierte Cover suggeriert, sie irren bisweilen tatsächlich planlos umher. Ähnlich diskontinuierlich wie ihre zunächst klangvollen Titel sucht jeder Song neue Ansätze. Neues Tempo, neue Rhythmik, neue Struktur. Im Kontrast dazu jedoch entwickelt die Platte eine erschreckende Gleichförmigkeit, die im ersten Moment kaum mit den vielen Ansätzen zu vereinbaren ist: auf den Grund heruntergebrochen bleiben bloß permanent nölende Synthie-Anklänge, schallende Akkorde und eine einlullende Stimmung aus Scheinmorbidität übrig, dazu ein Sänger, der in dem verkrampften Kampf um Abwechslung jegliche Kraft verloren zu haben scheint.
Sicher kommt der extrem unfertige und improvisierte Charakter von "Bildfänger" gerade einem Expressionisten wie Dirk Rehfus entgegen, der ein antiinstrumentalistisches Verständnis davon hat, wie seine Stimme funktionieren muss. Gerade Rehfus aber, der mitunter die absonderlichsten Gesangsexperimente ausprobiert (einmal klingt er beinah wie Buddy Lackey!) und im Grunde doch nichts dabei wagt, zeigt auf, dass Probieren alleine noch lange nicht das Studieren ersetzt. Stellt man einen gesanglichen Trapezkünstler wie Boris Savoldelli daneben, werden gewisse Unterschiede deutlich. Und da beginnt man zu begreifen: so aufregend avantgardistisch ist das alles gar nicht.
FAZIT: KAMERA OBSKUR verließen den Black Metal, um der Welt ein neues Genre zu schenken: "Alles-Außer-Black-Metal". Letztendlich ist das Wagnis aber nur halb so groß wie es klingt; König und seine Mitstreiter spielen hier natürlich immer noch nicht gerade Volksmusik und letztendlich waren auch LUNAR AURORA schon experimentalistisch veranlagt; die Auflösung der Band nach zwölf Jahren aus Gründen der Neuerfindung ist dafür wohl der deutlichste Beweis. "Bildfänger" geistert trotzdem planlos herum, als gälte es, vor der Hexe von Blair Witch zu fliehen. Sicher gehört das offenkundig auch zum Konzept, aber, bei aller Liebe zur Authentizität: sollte das Resultat nicht trotzdem spannend, interessant und abwechslungsreich sein?
Punkte: 6/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.03.2011
Constantin König
Dirk Rehfus
Marcel Breuer
Bernhard Klepper
Bernhard Klepper (Klarinette)
Cold Dimensions / Grau
55:00
01.04.2011