Mit dieser Scheibe entstiegen die Berliner KARTHAGO zu Beginn der Siebziger allzu exzentrischen Kraut-Niederungen. „Second Step“ tönt für damalige Verhältnisse kommerziell, beißt jedoch kräftig zu und überzeugt auch heute noch mit seinen zeitlosen Hardrock-Songs.
Das Label spendiert zudem die Vollbedienung mit Linernotes des Managers Cornelius Hudalla und Fotos, nicht zu vergessen Coverversionen von Chuck Berry (nett, aber entbehrlich) sowie Don Nix (überraschende Wahl, smart umgekrempelt). Nach der energischen Instrumentalabfahrt zu Beginn klingen KARTHAGO mit dem gospeligen Orgler „I Don't Care“ schwer amerikanisch, ungefähr wie GRAND FUNK RAILROAD mit Tastenzusatz. Das ausschweifende „Crosswords And Intermission“ lässt hinterher vage durchblicken, woher die Gruppe stammt. Umso mehr Soul besitzt dann „Don't Send Me Your Money, Send Me Your Heart“, das sich auch KANSAS zu Glanzzeiten ausgedacht haben könnten. Die Synth-Gitarren-Sause zwischendurch zeigt heutigen Dynamik-Einseitern, wo der Hammer hängt, nämlich nicht auf der Heil versprechenden Stufe zehn eines Verstärkers.
„Wild River“ dient sich dem elektrifizierten Jazz an, der zu jener Zeit seine Hochphase durchlebte, und lässt Filme vorm geistigen Auge ablaufen. „Lamento Juvenil“ wäre selbst heute für eine härtere Progressive-Band ungewöhnlich: Lateinamerika fliegen KARTHAGO hier ebenso an wie England, wo sich Ingo Bischoff mit Jon Lord abzuklatschen scheint. Klar, dass ein Titel wie „California Giggin'“ danach hippiesken Funk auflodern lässt. SPIRIT hätten ohne Drogen vermutlich häufiger solche Schoten komponiert.
Die „Oberbaum Bridge“ in der heutigen Bundeshauptstadt war zu Zeiten des Eisernen Vorhangs ein Begegnungsort zwischen Ost und West, KARTHAGO knüpfen ein atmosphärisches Instrumental mit hörbarem Sit-In beziehungsweise freudigen Hausbesetzer-Lauten daraus, die heute gleichfalls an Altes erinnern wie für sich selbst stehen. Das gilt für das ganze Album, das sich mit jedem aktuellen messen kann, so es um wie auch immer geartete Retrospektiven geht – bloß handelt es sich bei „Second Step“ um den wahren Jakob.
FAZIT: KARTHAGOs Klassiker „Second Step“ erfährt hier eine würdige, die vermutlich ultimative Aufbereitung – interessante Zubrote sowie ein respektvolles Remastering obendrauf. Glanzleistung der Verantwortlichen!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.12.2011
Gerald Hartwig
Joey Albrecht
Joey Albrecht
Ingo Bischoff
Paul Lehmann
Tomy Goldschmidt (percussion)
MIG (Made In Germany) Music
46:56
12.12.2011