Das ist sie also. Die furchtbare "Lulu". Die außergewöhnliche "Lulu". Die streitbare "Lulu". Das Album von LOU REED und METALLICA, das mehr als kontrovers diskutiert wird und jemanden wie DANKO JONES dazu bringt, seine METALLICA-Sammlung zu verkaufen (was er inzwischen wohl doch nicht mehr vorhat). Das Album, das ein neues Genre prägen soll und nach Meinung seiner Macher ein Experiment ist, das es in dieser Form noch nicht gab. Aber auch das Album, das den Verkaufszahlen nach als Flop zu bezeichnen ist, denn Platz 36 in den amerikanischen Billboard-Charts ist weit entfernt von dem, was METALLICA gewohnt sind.
Eigentlich war geplant, sich nicht weiter mit "Lulu" zu beschäftigen, nachdem man erste, teils vernichtende Kritiken im Internet gelesen hatte. Doch dann schickte das Label eine CD an die Redaktion und so beschloss man, diesem Werk doch das Gehör zu schenken und sich selber eine Meinung darüber zu verschaffen, was hier erschaffen wurde. Und das ist in erster Linie schwer verdauliche Musik, bei der die einzelnen Elemente nur schwerlich zu einem Ganzen zusammenfinden wollen. Zum einen ist da LOU REEDs monotoner, altersschwach wirkender Sprechgesang, mit dem er die Geschichte der "Lulu" aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Das hört sich immer mal wieder schief, disharmonisch und leiernd an, doch es passt auch zu den harten Texten, die auf zwei Theaterstücken des deutschen Schriftstellers Frank Wedekind beruhen.
Das andere Element ist die Musik, die Lou und METALLICA gemeinsam geschrieben haben. Dabei wird vor allem deutlich, dass METALLICA eines nicht können, nämlich sich gut arrangierte Songs mal eben aus dem Ärmel zu schütteln. Viele Passagen auf "Lulu" wirken unfertig, unausgegoren, improvisiert und nicht zu Ende gedacht. Und selbst wenn es gelingt, gute Riffs zu integrieren, so werden diese oft in einer scheinbaren Endlosschleife wiederholt. Das mag mit den sehr langen Texten zu tun haben, die die Songs zwangsläufig in die Länge ziehen, dabei gelingt es jedoch nur selten, eine wirkliche Spannung zu erzeugen. Und so zieht sich das Material immer wieder in die Länge und es fällt einem schwer, knapp anderthalb Stunden konzentriert zuzuhören.
Mit dem Blick auf die Tatsache, dass "Lulu" primär als Experiment zu sehen ist, vermag es jedoch auch zu gefallen. Man darf nicht den Fehler machen, die Maßstäbe an den Tag zu legen, die man bei einer "normalen" METALLICA-Platte zugrunde legen würde und man sollte auch versuchen, auszublenden, dass LOU REED so etwas wie eine lebende Legende ist. "Lulu" funktioniert zumindest dann teilweise, wenn man es als einen Versuch, etwas Neues zu erschaffen, wertet. Denn das gelingt hier und da ganz gut.
Mit "Brandenburg Gate" fängt "Lulu" jedoch erschreckend schwach an. Ein Song, der in den Gitarren ein bisschen an bluesigere GUNS N' ROSES erinnert, es bei denen jedoch sicher nicht auf ein Album geschafft hätte. James Hetfield darf hier direkt ein paar Backing Vocals beisteuern und man wünscht sich, er hätte es nicht getan. Besser weiß "The View" zu gefallen, das von einem schweren Riff dominiert wird und bei dem Hetfield im Refrain einen deutlich besseren Eindruck macht, im zweiten Kehrvers darf er sogar richtig aggressiv singen. Sehr ruhig beginnt das düstere "Pumping Blood", das im weiteren Verlauf an Intensität zulegt. Hier macht man aber auch die ersten Passagen aus, die nach Improvisation statt nach Songwriting klingen. Allen Songs gemein ist die Dominanz von Reeds Sprechgesang, weshalb darauf nicht gesondert eingegangen werden soll. Entweder findet man das grauenvoll oder man gewöhnt sich daran.
Spannend wird es bei "Mistress Dead", denn das Speed-Metal-Gerüst kommt unerwartet und ist in seiner Monotonie schon fast hypnotisch. Permanent dazu erklingen atmosphärische Hintergrundsounds, und letztendlich ist der Song so ungewöhnlich, dass er wirklich gefällt. Das eingängige, melodische und harmonische "Iced Honey" ist dagegen langweilig, auch wenn es der Song ist, mit dem die Massen wohl noch am ehesten zurecht kommen können. Zweites Highlight eines höhepunktarmen Albums ist das fragile "Cheat On Me", das sich ebenfalls sehr langsam aufbaut, aber mit intensiver Düsternis und gutem Refrain punkten kann. "Frustration" dagegen ist reichlich schräg und wirkt wiederum sehr unfertig, ähnliches gilt für "Little Dog", das mehr wie eine Collage, als wie ein echter Song erscheint. Das Grundriff von "Dragon" erinnert an "My Friend Of Misery", jedoch wird hier deutlich, dass ein gutes Motiv nicht reicht, um einen Song auf elf Minuten auszudehnen. Das abschließende "Junior Dad" erschrickt zunächst mit einer Spielzeit von 20 Minuten, ist letztlich aber nichts anderes als ein endlos dahinplätscherndes Outro mit Streicherklängen, das man spätestens nach zehn Minuten abschalten kann.
Letzte Feststellung: dem Ego des Drummers entsprechend ist das Schlagzeug zu laut aufgenommen, nach dem soundtechnischen "Death Magnetic"-Fiasko klingt "Lulu" jedoch recht basisch und trotzdem sauber.
FAZIT: So schlimm wie befürchtet ist "Lulu" nicht, allerdings ist es auch noch nicht mal ansatzweise so spannend, dass man geneigt wäre, es öfter aufzulegen. Das Experiment kann deshalb auch nur teilweise als geglückt bezeichnet werden. Vielleicht hätte LOU REED dafür keine Band aussuchen sollen, die inzwischen fest im Mainstream verankert ist, denn der musikalische Beitrag von METALLICA ist ganz sicher nicht künstlerisch wertvoll oder wenigstens anspruchsvoll. So bleibt das Gefühl, dass die finstere Geschichte der "Lulu" von anderen Musikern wirklich interessant und packend hätte umgesetzt werden können. Für METALLICA war es vielleicht eine spannende Erfahrung, für den Hörer ist sie es jedoch nur sehr begrenzt.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.11.2011
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28.10.2011