JAZZ-FUSION!!!!
Allein bei dieser Terminierung werden viele die Stirn runzeln, das Gesicht verziehen, die Ohren auf Durchgang schalten und sich mit einem leicht verbissenen Blick, so als hätten sie gerade eine Zitrone zu zerkauen versucht, abwenden!
PINK FLOYD!!!
Da werden viele neugierig aufhorchen, ein Bekenner-Lächeln auf ihr Gesicht zaubern, an die bunten Murmeln der beiden gerade erschienenen Immersion-Boxen denken, die Ohren spitzen und ein wenig so verstohlen dreinschauen, als hätten sie gerade Frau Merkel mit Monsieur Sarkozy beim unehelichen Beischlaf ertappt, weil unser Kleiner am Ende doch eine politische Macherin einem singenden Modell vorzieht. Macht macht eben in schwer herbeigeredeten Krisenzeiten doch erotischer als Gesang – so wie die x-te Ausgabe eines lieb gewonnenen Kult-Albums!
PSYCHEDELIC & FRANK ZAPPA!!!
Hier nun scheiden sich die Geister. Ist das doch eher ein akustischer Koitus-Interruptus oder ein musikal-orgastischer Eiaculari, wie wir es vom großen Meister persönlich kennen, der in seiner Musik so etwa alles mit genialer Kreativität verwurstete, bis auch der letzte Spritzer noch mehr Genialität aufwies als das Hirn von den bescheuerten Pyrotechnikern, die sich als Dresdner Fußballfans darstellen?
WELTMUSIK & RAVI SHANKAR!!!
Das weltmusikalische, hier besonders indische Moment, in dem wir uns alle immer wieder wohl fühlen, besonders wenn wir verreisen und ein wenig Aufmerksamkeit auch der traditionellen Musikkultur fremder Länder entgegenbringen. In diesem Falle besonders dem Sitar-Spiel des Norah-Jones-Papas Ravi Shankar.
Wo bitte bekommt man all das geboten???
Bei MACHINE MASS TRIO!
Und gerade das, was mich bei THE WRONG OBJECT, der Band von MICHEL DELVILLE noch irritierte, der vermeintliche Spagat zwischen progressivem Rock und oftmals ein wenig zu frei aufgeführtem Jazz, genau das passt nunmehr wie die psychedelische Faust aufs jazzige Auge! Das MACHINE MASS TRIO steht nicht mehr zwischen diesen beiden Spielarten höchst anspruchsvoller Musikkunst, sondern macht direkt eine dicke fette Arschbombe hinein, die alle um das Musikbecken stehenden überflutet.
Damit wären wir auch schon bei der besonderen Stärke von „As Real As Thinking“. Die acht Titel des Albums erheben jeder einzelne für sich den Anspruch auf Eigenständigkeit. Grundlage hierbei ist eindeutig der Jazz, wobei konsequent jedem Song eine besondere Zutat beigemischt wird, ohne auch ein einziges Mal die musikalische Jazz-Buchstaben-Suppe zu versalzen. Vielfältig sind diese Buchstaben, von A wie Avantgarde über C(anterbury), E(lectronic), I(ndie), K(raut), L(oops), M(etal), P(rog), R(IO/ock), W(eltmusik) bis Z wie Zeuhl.
„Cuckoo“ legt recht verhalten mit Bass, Schlagzeug und Saxofon los, wobei besonders dieses außergewöhnliche Tenor-Saxofon, gespielt von dem jungen Aufsteiger der Belgischen Jazz-Szene, JORDI GROGNARD, alte Erinnerungen an HENRY COW wach werden lässt. Die werden dann jedoch ziemlich schnell von einer ZAPPA-Gitarre weggewischt und in „Shut Up 'N Play Yer Guitar“-Manier zum Ende des ersten großartigen Titels geführt. Großartig ist aber nicht nur „Cuckoo“ - großartig sind auch die weiteren sieben folgenden Titel, die zwischen dynamischer Wildheit und entspannter Ruhe alles zu bieten haben, was man von den wahren Größen des Jazz, egal ob MILES DAVIS, PAT METHENY, HERBIE HANCOCK oder dem E.S.T., lieben gelernt hat. Schon nach dem ersten Hördurchgang war mir klar, dass dieses Album im Grunde in einem Atemzug mit „Bitches Brew“ genannt werden kann, was wohl auch daran lag, dass ich mir gerade ein paar Tage zuvor eben dieses legendäre Album von MILES DAVIS in seiner 40th Anniversary Variante stundenlang zu Gemüte geführt hatte.
Und wenn der Hörer dann auch noch bei „Kahjurao“ in den Glauben versetzt wird, dass wir mit einem Schlag eine indische Platte vor uns haben, in der die Sitar eines RAVI SHANKAR sich zu einem Duett mit einer Flöte, wie sie CHRIS HINZE nicht anders spielen würde, erhebt, dann sollte auch der letzte Kritiker begreifen, dass dieses „As Real As Thinking“ eigentlich jedes reale Denken noch um längen übertrifft.
Selbst die permanente Wiederholung eines Bass-Motivs, Dumm-De-Du-Dumm, bei „Hero“ lässt nicht die Bohne Langeweile aufkommen, weil ständig irgendwelche Instrumente darüber gespielt werden, die ihr buntes Eigenleben der Bass-Eintönigkeit entgegen setzen. Wahre musikalische „Helden“ eben, die aus der grummelnden grauen Masse hervortreten und sich dieser entgegen stellen. Ähnlich erscheint dann auch der „UFO-RA“, dem diesmal ein sich wiederholendes Kontrabass-Thema zugrunde liegt, Dumm-Dum-Dumm-Dum-Dumm, auf dem die kleinen grünen Männchen mit ihrem Synthesizer, den Electronics und am Ende sogar einem Saxofon anzudocken versuchen.
„Falling Up“, der mit 18 Minuten längste Titel, lässt dann auch noch die Herzen der Freunde von PINK FLOYD höher schlagen, die besonders die beiden ersten Alben besagter Heroen lieben, weil ihnen die angejazzten instrumentalen Ausflüge von „Interstellar Overdrive“ und „A Saucerful Of Secrets“ zusagten.
Schlicht und ergreifend ein gigantisches Album!
FAZIT: „As Real As Thinking“ ist DIE Entdeckung für alle, die Jazz-Rock lieben und nach all den Klassikern solcher Bands wie das MAHAVISNHU ORCHESTRA, WEATHER REPORT usw. nach etwas Neuem suchen. Mit diesem Album haben sie es garantiert gefunden!
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.12.2011
Jordi Grognard
Michel Delville
Jordi Grognard
Tony Bianco
Tony Bianco (Percussion & Loops), Michel Delville (Bouzouki & Electronics), Jordi Grognard (Tenor Sax, Bass Klarinette, Flöte & Bansuri)
MoonJune Records
64:03
15.11.2011