Lange hat es gedauert, bis MAN ON FIRE mit ihrer neuen Scheibe aus dem Quark kamen, die sich als eine der wenigen Bands aus der Prog-Kiste herausgespielt haben und Fans des "Genres" dennoch weiter begeistern. The Undefined Design" ist zumindest für den Rezensenten ein kleiner Klassiker, und "Mr. Lie" vom Nachfolger "Habitat" schwirrt auch heute noch als nerviger Ohrwurm in seinem Kopf herum. "Chrysalis" nun entpuppt (!) sich als stilistishe Fortführung mit einigen Neuerungen, nicht zuletzt mit Hinblick auf das erweiterte Line-up.
"Repeat It" zeigt Jeff Hodges von einer ungewohnt kräftigen Seite und stellt MAN ON FIRE einmal mehr als Band im Geiste des heuer kaum mehr irgendwo gespielten Art Pop Marke Japan vor, was nicht nur am Mick-Karn-würdigen Bass von Eric Sands liegt, sondern auch an der Kompositionsweise der Gruppe mit der heißen Nadel: Hier sitzt jeder Ton wie bei einem kleinen akustischen Kunstwerk - Art eben. Derneu hinzugekommene Bläser erweist sich letztlich aber als weit unauffälliger als die Geige von Jenny Hugh, die "In A Sense" zum anbetungswürdigen Highlight macht. "A (Post-Apocalyptic) Bedtime Story" trompetet erstmals deutlicher, genauso wie sich das Engagement von Elise Testone am Mikro auszahlt. Hodges liefert sich einige fulminante Duette mit ihr.
Mit dem Titelstück hat man sich einmal mehr der Tradition eines mehrteiligen Opus angenommen. Die ersten beiden Teile stehen sich in Sachen Dynamik an beiden Enden des Lautstärkespektrums gegenüber, verbinden aber gekonnt wie nie elektronische Elemente mit organischem Instrumentenpark, wohingegen "Free to Fall" nach dem Zwischenspiel "The Muse Returns" erstaunlich düster dem Höhepunkt entgegenstrebt. Ihr Pulver verschossen haben MAN ON FIRE danach aber mitnichten. Das sehr minimalistisch arrangierte "The Projectionist" klingt gleichermaßen versonnen wie Spannung erzeugend, und "Tear Gas" könnte sich als neuer Hit erweisen, wirkt latent funky und unverhofft an klassischem Soul gebürstet, was den Gesang betrifft.
"Higher Than Mountains" fühlt sich trotz knapper Anlage episch an, was an den weiten Melodiebögen liegt, und "Gravity" ist es mit zehn Minuten dann tatsächlich. Orchestrale Tupfer beglänzen ein für den Kopfhörer arrangiertes (Chöre!) Gesellenstück, mit dem sich die Combo alle Zeit der Welt nimmt, um dem Hörer einen Kopfkinofilm zu drehen - die neue Sängerin darf im Alleingang ran, und Hodges zeigt, dass man kein Virtuose im eigentlichen Sinn sein muss, um seinem Keyboard beeindruckend expressive Sounds zu entlocken. Dass der Track hinterher ohne Gesang als Bonus wiederholt wird, ist durchaus nicht vermessen. In seiner Gesamtheit ist "Chrysalis" vielleicht das kompakteste und einheitlichste Werk von MAN ON FIRE, das jedoch abgesehen von einem Song seine Zeit braucht, um erschlossen zu werden. Allerdings lohnt es sich, einen langen Atem zu haben … und gute Kopfhörer.
FAZIT: MAN ON FIRE haben nach ihrer Pause nichts von ihrem Reiz eingebüßt und gehören nach wie vor zum Hochadel wahrhaftiger Künstler aus dem am Pop grenzenden Rock. Wer TALK TALK und DALI'S CAR nachtrauert und keine Weltmusik mehr von PETER GABRIEL hören möchte, findet hier einen neuen Heimathafen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.10.2011
Eric Sands
Jeff Hodges, Elise Testone
Eric Sands
Jeff Hodges
Quentin Ravenell
Jenny Hugh (Geige), Cameron Harder Handel (Trompete)
10T
59:52
30.09.2011