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Mantra Sect: The Brave Die Lonely

Stil: Düsterer Tribal-Punk?

Cover: Mantra Sect: The Brave Die Lonely

Mit dem Tod von Gus Chambers (GRIP INC., SQUEALER A.D., ROGUE PROCESS, SONS OF DOMINATION) verlor die Metal- und Punkszene 2008 nicht nur eine ihrer ausdrucksstärksten und eigenständigsten Stimmen, sondern auch eine charismatische, stets offen und freundlich auftretende Persönlichkeit. Egal in welcher Band – in Chambers‘ Stimme lag eine Power, Eindringlichkeit und Leidenschaft, über die nur wenige Sänger verfügen, gleich welchen Stils. Er selbst brachte das im Making-Of zum letzten GRIP INC.-Album auf den Punkt:

„When I sing it, I mean it!“

Das glaubte man ihm unbesehen angesichts der Inbrunst, mit der er in „Ostracized“ (GRIP INC.) über Klassengesellschaft und soziale Ausgrenzung klagt, in „Faith Or Fury“ (SQUEALER A.D.) mit sich überschlagender Angepisstheit gegen Religionen giftet oder in „King Midas“ (ROGUE PROCESS) den Trieb des Menschen ans Licht zerrt, aus Gier alles haben zu wollen und am Ende nichts von echtem Wert zu bekommen.

Stets zeugten seine Texte von einem bewussten, entlarvenden Blick auf die Ideale, Ikonen und Leichen im Keller unserer Leistungs- und Konsumgesellschaft, oft haftete seinen fast schon poetischen Betrachtungen neben dem Kampfgeist der Straße auch eine gewisse Schwermut, ja Resignation an. Die mag auch mitverantwortlich für seinen viel zu frühen Tod sein. Hieß es anfangs noch, er habe sich wohl selbst getötet, schien wenig später eher ein tödlicher Cocktail aus Antidepressiva und Alkohol der Auslöser gewesen zu sein – so genau scheint es aber keiner zu wissen.

Kurz vor seinem Tod nahm Chambers noch ein Album mit MANTRA SECT auf, die er in seiner Heimatstadt Coventry mit alten Freunden gegründet hatte. Mit dem technisch imposanten Atmo-Thrash der GRIP INC.-Ära hat „The Brave Die Lonely“ musikalisch nichts zu tun, wenn auch die Stimmung der Musik nicht völlig unvergleichbar ist. Das liegt natürlich am auch hier wieder überragenden Gesang, der mit rauen Melodien und wütendem Geschrei direkt ins emotionale Zentrum des Hirns zielt. Musikalisch ist es garnicht so leicht zu beschreiben, was hier gespielt wird. Im Punk verwurzelt, hat die Band jedoch weder mit den SEX PISTOLS noch mit DISCHARGE irgendetwas gemein. Wer eine ungefähre Verortung braucht, möge sich vorstellen, wie wohl eine Jam Session mit KILLING JOKE und KYLESA klingen könnte.

Der Opener „King Midas“, von der im Demostadium versandeten Hoffnung ROGUE PROCESS übernommen, legt die Marschrute fest. Zügiges, aber nicht überhastetes Tempo, mal fett bratende, dann wieder leichtfüßige Gitarren, treibende Drums und der besagte Gänsehautgesang kreieren eine ungeschliffene, eigentümliche Schönheit abseits jeden Mainstreams. Das heißt nicht, dass hier keine Hits drauf wären. Neben besagtem „King Midas“ punkten Stücke wie „Jesus Slaves“, „Mercytron“, „Soho Assassin“ oder „Only The Brave“ mit Atmosphäre und Wiedererkennungswert, verfügen über einen enormen Ohrwurmfaktor und – natürlich – fantastische Texte. Gleichwohl müssen sich die Instrumentalisten auch auf Album-Distanz nicht hinter ihrem Fronter verstecken. Gitarrist Sam hat viele kreative Riffs und Licks auf der Pfanne, ohne sich auf eine Stil-Schublade festlegen zu lassen, Schlagzeuger Wippet füllt jedes Loch mit effektiven Beats und wuchtigen Tribals und Bassistin Wendy verfügt über einen der geilsten Basssounds nach Sir Lemmy.

Ursprünglich war für die Scheibe eine reguläre Veröffentlichung vorgesehen, doch entschied der Rest der Band nach Chambers‘ Tod, die Platte lediglich zum Download anzubieten und sämtliche Erlöse an eine englische Hilfsorganisation für psychisch erkrankte Menschen zu spenden. Das unterstreicht nicht nur die menschenfreundliche Einstellung der Musiker, sondern lässt einen auch einmal mehr darüber nachdenken, warum so viele Menschen, die die Missstände der Gesellschaft erkannt haben und unter ihnen leiden, ein unglückliches Leben führen müssen, während opportunistische Profiteure im Luxus schwelgen die Welt ruhigen Gewissens zum Teufel gehen lassen.

FAZIT: In einer gerechten Welt wäre Gus Chambers nicht depressiv gewesen, wäre „The Brave Die Lonely“ nur das erste und nicht auch das letze Album einer hoffnungsvollen und sehr eigenständigen neuen Band gewesen, hätte das gelungene THE CURE-Cover „Killing An Arab“ nicht wegen der verdammten Kohle vom Album genommen werden müssen, wäre dem Sänger für seine zahlreichen großartigen Arbeiten die Anerkennung zuteil geworden, die ihm gebührt und könnte man sich vielleicht sogar auf weitere GRIP INC.-Großtaten freuen. Nun ist die Welt keine bessere, Chambers ist tot, MANTRA SECT auch und was bleibt ist die Erkenntnis, dass Philantropen unglücklicher sind als Egozentiker, Kreativität und Genie aber, so tragisch das auch ist, manchmal im Spannungsfeld aus Depression und Unglücklichsein zu hoher Blüte gelangen.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.09.2011

Tracklist

  1. King Midas
  2. Jesus Slaves
  3. Demolition
  4. Biting Time
  5. Mercytron
  6. Kingdom Of Shadows
  7. Blackout
  8. The Kindred
  9. Soho Assassin
  10. Only The Brave
  11. Under The Knife

Besetzung

  • Bass

    Wendy X

  • Gesang

    Gus Chambers

  • Gitarre

    Bonedigger Sam

  • Schlagzeug

    Wippet

Sonstiges

  • Label

    Eigenproduktion

  • Spieldauer

    48:00

  • Erscheinungsdatum

    05.09.2011

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