„All My Life – Tonight - Oceansized“, singt Gavin Rossdale im neuen BUSH-Song „All My Life“... oder halluziniere ich langsam?
Seit OCEANSIZE den ewigen Jagdgründen angehören, wirft ihr Phantombild überall in der Szene beharrlich Schatten. PANAMA PICTURE oder LAKE CISCO flochten die Manchester-Referenzen im Wesentlichen in ein Indie- oder Alternative-Rock-Gerüst ein, NIHILING werkeln seit ihrem Debüt „M(e)iosis“ hingegen aus der Postrock-Zentrale heraus.
Dass das passt, dürfte klar sein; ein über alle Maßen experimentelles Album ist bei der Kombination nicht zu erwarten, da auch OCEANSIZE schon enorm post-kompatibel waren. Eine Prise Prog zeichnet sich aber durchaus ab. Synapsen auf dem Cover, Latein im Titel, Sprechrollenstruktur in den Songtexten – das Gesamtpaket wirkt schon arg kopflastig.
Erwartungsgemäß gibt es die wenigsten Überraschungen in der Musik selbst. Als Eröffnung dient ein reinrassiges instrumentales Postrock-Stück, das so auch auf jeder Platte von CASPIAN, TIDES FROM NEBULA oder LONG DISTANCE CALLING stehen könnte. Spätestens ab „pa(r)tik(e)l“ wird das Postrock-Reinheitsgebot aber – wiederum erwartungsgemäß – missachtet und die Wurzeln schlagen quer.
„Egophagus“ verfehlt damit klar den Effekt einer Wundertüte, kann aber im vorhersehbaren Gesamtzusammenhang doch immer wieder starke Akzente setzen. Das Tempo ist ähnlich getragen und sich selbst treibend wie OCEANSIZEs „Effloresce“ einst war, so dass wie selbstverständlich immer wieder magischen Momenten Platz zum Leuchten eingeräumt wird. Dazu gehört vor allem das Spiel mit dem unterstützenden Frauengesang: Mit weiblichen Backing Vocals werden große Teile des männlichen Gesangs verdichtet, im märchenähnlichen Spieluhrenklang von „Minnows“ tritt die weibliche Stimme erstmals deutlich in den Vordergrund – als „Ichfresser“, eine der drei lyrischen Figuren neben „The Impuls“ und „The Unnamed“, die sich egoperspektivische Gedankengänge teilen. Auf „Precious Hosts“ gesellt sich gar eine Kinderstimme dazu, die Sprechgesang beisteuert und dabei einen progressiven Takt einhält, was ausgesprochen drollig klingt und schließlich von Chören abgelöst wird, die PURE REASON REVOLUTION wieder aufleben zu lassen scheinen.
Ein dumpf klingendes Intermezzo wie das mit Akkordeons hinter Nebelschwaden akzentuierte „Letter To Senor Iraola“ fungiert dabei als Tunnelleiter, der durch den Funken sprühenden kognitiven Mahlstrom geleitet. War man bei PANAMA PICTURE aufgrund des berechnenden Musikstudenten-Flairs noch dazu versucht, von einer unreflektierten OCEANSIZE-Kopie zu sprechen, so kann das NIHILING trotz enormer Parallelen nicht passieren, nicht einmal beim schwelgerischen „3dogs“ und seinen SIGUR ROS-Spuren; zu sehr befindet sich „Egophagus“ in seinem eigenen Rhythmus und seiner eigenen Dimension.
FAZIT: Weitgehend überraschungsfrei, aber hinreichend selbstständig pflegen NIHILING den Fortbestand der neuen Manchester-Schule, die kürzlich zu bröckeln begann. Die Dynamik von „Egophagus“ ist eine ganz spezielle, auch gerade aufgrund der ambitionierten Songtexte, und so lässt man sich gerne davon fort treiben, selbst wenn nicht immer alles so ganz neu ist.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.09.2011
Alexandra Steinmetzer
Gorka Lautaro Morales (Lead), Alexandra Steinmetzer, Jan Hendrik Schnoor, Andreas Höfler (Backing)
Gorka Lautaro Morales, Felix Eggert, Andreas Höfler
Kai Jacobsen
Jan Hendrik Schnoor
Gorka Lautaro Morales, Alexandra Steinmetzer, Felix Eggert, Andreas Höfler (Noise), Jan Hendrik Schnoor (Laptop), Kai Jacobsen (Samples)
Playdead Music
48:00
07.10.2011