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Reviews

Paatos: Breathing

Stil: Pathetische Art-Rock-Renaissance

Cover: Paatos: Breathing

Irgendwie fällt mir bei der schwedischen Band sofort eine Wortspiel ein: „Wer wirklichen Pathos mag, muss PAATOS mögen!“ Nun war gerade diese Eigenschaft immer ein Grund dafür, vielen ehemaligen DDR-Bands riesige Vorwürfe zu machen, indem man ihre Texte und Musik als zu pathetisch und aufgeblasen oder abgehoben bezeichnete. Ein Totschlagargument, gegen das sich kaum wer zur Wehr setzen konnte. Doch im Jahr 2011 haben sich die Zeiten eben doch merklich geändert – es ist wieder eine gehörige Dröhnung Pathos angesagt.

Plötzlich und unerwartet tauchen nach einer fünfjährigen Auszeit die pathetischen Schweden („Patos“ ist das schwedische Wort für Pathos – und laut Aussage der Musiker sah das zusätzliche „A“ einfach optisch besser aus.) mit ihrer charismatischen Sangesfrontfrau aus der Versenkung auf und so etwa alles, was in der schreibenden Musik-Kritiker-Gilde Rang und Namen hat, hängt sich einen Wunderbeutel um und verfällt in einen textlichen Pathos wie zu vergangenen Zeiten.

Sogar auf dem Promo-Flyer darf ich unzweifelhaft lesen: „Werte Geschmacksmenschen! […] ‚Breathing’ heißt der neue Geniestreich. […]“ Selbst eine eigene Musikkategorie erfindet die Band für Ihre Musik: „Cinematic Rock“. Da denke ich doch eher an Filmmusik und werde sofort eines Besseren belehrt – das ist „Rock im Breitwandformat“ oder „Art-Rock vom Allerfeinsten“ oder „Minimalismus bis zur Perfektion“ oder „ganz große Progressiv-Kunst“. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die „Koryphäe Steven Wilson“ von PORCUPINE TREE die Schweden nicht nur für sich entdeckt hat und sie als Vorband bei eigenen Konzerten auftreten lässt, sondern „Breathing“ sogar gemixt haben soll (Aus meiner Sicht hat er sich diesbezüglich aber bei weitem nicht so viel Mühe gegeben wie beispielsweise bei den neu bearbeiteten King-Crimson-Alben!). Nach solch nackten Tatsachen muss so eine kleine, weniger nackte Kritikerseele wie ich doch regelrecht „Breathless“ sein! Bin’s aber nicht, sondern am Ende eher etwas gelangweilt, denn auch Vorschusslorbeeren müssen sich im Nachhinein erst einmal verdient werden. Und viel schlimmer ist, dass solche Lorbeeren Erwartungen wecken – Erwartungen, die man ohne solche Lobpreisungen vielleicht nicht vor dem ersten Hören gehabt hätte.

PAATOS zelebrieren ihren eigenen Pathos. Mit Texten, die sich vorrangig um Abschiede, Trennungen oder Enttäuschungen drehen und Musik, die manchmal ziemlich aufgeblasen ist, so wundervoll auch die Stimme von Petronella Nettermalm klingen mag, auf die Dauer wirkt selbst diese bei solchen zurückhaltenden, oftmals bis zum Erbrechen melancholischen Kompositionen etwas eintönig. Ein Album eben wie aus einem harmoniesüchtigen Guss, bei dem der Hörer nach kurzer Zeit weiß, was ihn bis zum Ende der Scheibe erwartet, auch wenn ein paar versteckte Schmankerl darin enthalten sind.

Dabei klingt der Opener „Gone“ noch richtig gut – er beginnt hymnisch, wechselt kurz darauf in eine ruhigere und verhaltene Stimmung, die mit fast beschwörenden Melodien sowie einem klasse Bass versetzt wird, welche im Ohr bleibt. Nach dreieinhalb Minuten dann DIE Überraschung – denn durch einen extremen Stilbruch klingen die Keyboards plötzlich nach KING CRIMSON oder den ANEKDOTEN und am Ende entsteht der Eindruck, dass sogar ein bisschen bei „Starless“ abgeschaut wurde (Oder war das etwa der Einfluss eines Mr. Wilson, nachdem er „Red“ von KING CRIMSON neu gemixt hatte?). Bis hierhin alles bestens, aber wie geht’s weiter? Na ja, erst einmal wird „Gone“ recht lieblos ausgeblendet. Was soll das? Da baut man solch herrliche Spannungen auf, um diese dann im Fader-Klo runterzuspülen, statt sie zu einem konsequenten Ende zu führen.

Ist es dann Ironie oder bittere Selbsterkenntnis, dass der folgende Song „Fading Out“ heißt? Überhaupt klingt das gesamte Album nach einer gehörigen Portion „Fading Out“ – es passiert kaum etwas und viele Titel werden einfach nur ausgeblendet oder erscheinen versatzstückartig an irgendeiner Stelle ins Album eingefügt, wie z.B. „Andrum“. Die Musik ist zwar nett und unterhaltsam, aber definitiv keine „ganz große Progressiv-Kunst“. Der wirklich progressive Charakter der frühen PAATOS-Musik gehört leider wohl nur noch der Vergangenheit an und während ich die ersten beiden Alben wohl gerade wegen ihrer progressiven Ausrichtung noch so sehr bewunderte, bleibt mir bei „Breathless“ nur noch Verwunderung darüber übrig, wie vordergründig belanglos ihre Musik im Jahr 2011 geworden ist. Dabei werden manchmal im Hintergrund doch so einige Anspielungen an die großen Klassiker versteckt, egal ob es nun KING CRIMSON oder bei „In That Room“ die ganz frühen TANGERINE DREAM betrifft. Aber wie gesagt, immer nur verborgen im Hintergrund und höchstens bei angestrengtem Hören unter Kopfhörern zu entdecken.

Mit „No More Rollercoasters“ begibt sich Frau Nettermalm, wie bereits vom Vorgängeralbum gewohnt, auf die Spuren einer BJÖRK. Das scheint wohl ein musikalisches Pflichtspiel für sie geworden zu sein. Trotzdem hat der Song seinen Reiz, denn er gehört zu den rockigsten des gesamten Albums – hier wird nicht nur geatmet, hier wird auch mal hyperventiliert.

Ganz anders sieht es dagegen bei „Smärtan“ (Schmerzen) aus. Der Titel fügt dem Hörer in seiner Langatmigkeit, die sogar einen Hauch von Gothic in sich trägt, keine Schmerzen zu, sondern klingt eher wie eine Betäubung, die man zu deren Bekämpfung einsetzt.

Auf der Homepage von PAATOS kann jeder, bevor er „eintreten“ darf, lesen: „Paatos sind zurück und haben ihr neustes Album veröffentlicht, welches ohne Frage ihr eindeutig bestes ist…“ – Einspruch, meine Dame und Herren! Aus meiner Sicht ist es leider euer schwächstes geworden. Aber das ist eben alles nur Geschmackssache. Ein behäbiges, viel zu entspanntes, gleichförmig atmendes Album, das mit vereinzelten musikalischen Brüchen Hoffnungen weckt, die es dann aber nie zu erfüllen vermag.

Manchmal ist es doch sehr von Vorteil, dass wir Kritiker auf unserer Seite recht aktiv untereinander kommunizieren – und darum möchte ich mit einem FAZIT schließen, das nicht von mir, sondern meinem Kritiker-Kollegen JOCHEN KÖNIG ist. Er schreibt zu dem Album genau die Zeilen, die meine vollste Zustimmung haben und all das, was ich hier auszudrücken versuchte, auf den Punkt bringen: „Nur als kleine Warnung (oder Hinweis). PAATOS haben sich, ähem, ein wenig gewandelt. Das ist jetzt Art-Pop auf den Spuren von RENAISSANCE (der Band – nicht dem Zeitalter), ALL ABOUT EVE und leicht psychedelischem Sixties Pop.“
Stimmt genau, Jochen, und darum werden wohl viele, die gerade die beiden ersten Alben der Schweden mochten, genau wie ich, mit „Breathing“ so einige Probleme haben.

Punkte: 7/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.05.2011

Tracklist

  1. Gone
  2. Fading Out
  3. Shells
  4. In That Room
  5. Andrum
  6. No More Rollercoaster
  7. Breathing
  8. Smärtan
  9. Surrounded
  10. Ploing, My Friend
  11. Precious
  12. Over And Out

Besetzung

  • Bass

    Ulf Rockis Ivarsson

  • Gesang

    Petronella Nettermalm

  • Gitarre

    Peter Nylander

  • Keys

    Peter Nylander, Ricard Huxflux Nettermalm

  • Schlagzeug

    Ricard Huxflux Nettermalm

  • Sonstiges

    Ricard Huxflux Nettermalm (Violine), Petronella Nettermalm (Cello auf „Precious“), Peter Nylander (Flöte & Posaune)

Sonstiges

  • Label

    glassVille Records

  • Spieldauer

    50:08

  • Erscheinungsdatum

    05.04.2011

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