Ich weiß es noch, als wenn es gestern gewesen wäre. Dabei war es irgendwann im Jahre 1995, als ich in einem Billigladen stand und in einem Plastikkörbchen durch die CDs guckte, die dort zum Verkauf angeboten waren. Hauptsächlich irgendwelche Maxis von irgendwelchen Bands, die damals schon niemand kannte. Doch zwei davon weckten mein Interesse. Die eine von den PHANTOMS OF FUTURE, die kannte ich zumindest dem Namen nach und eine von einer völlig unbekannten Band names RAMMSTEIN. Cooler Name. Die Single hieß "Du riechst so gut" und zeigte eine Blüte und das Bandlogo, das ebenfalls interessant aussah. Da man für eine Mark eh nichts falsch macht, nahm ich das Teil mit nach Hause. Danach war die Welt nicht mehr so, wie sie mal war.
Gut, dass hört sich jetzt schwer pathetisch an, doch der Sound dieser Band war 1995 einzigartig. Brettharter Industrial Rock (der erst später unter dem plakativen Begriff Neue Deutsche Härte einsortiert wurde) mit provokantem Gesang und sensationellem Songwriting. Klar, dass das zugehörige Album "Herzeleid" auch umgehend verhaftet wurde und den Schreiber dieser Zeilen völlig begeisterte. Mit der Zeit wurde der Name RAMMSTEIN dann auch in der Szene bekannter und die Band begann, Aufsehen zu erregen. Dann kam 1997 "Engel", die erste Single mit der RAMMSTEIN einen Hit landeten. Das zweite Album "Sehnsucht" enterte die Spitze der deutschen Album-Charts... der Rest der Geschichte ist hinlänglich bekannt. 16 Jahre nach der ersten Single sind RAMMSTEIN (zurecht) Superstars und das weit über Deutschland hinaus.
Grund genug also, eine Werkschau zu veröffentlichen. Diese trägt den Titel "Made In Germany 1996 - 2011" und wird von einer Tour begleitet. Grund genug für diverse Journalistenkollegen, sich mal wieder tiefergehend mit der Band zu beschäftigen - mit teilweise erschreckenden Ergebnissen. Da werden alte Vorurteile und Mutmaßungen genauso auf den Tisch gepackt, wie schrecklich sinnfreies, intellektuelles Geschwafel, mit dem das Phänomen RAMMSTEIN ergründet werden will. Dabei ist es so einfach: die Band macht schlicht und ergreifend gute Musik und hat ein perfektes Händchen dafür, sich selbst in Szene zu setzen und mit Hilfe von gezielter Provokation den deutschen Spießbürger in Aufruhr zu versetzen. Die These mit der guten Musik kann anhand dieser Best Of belegt werden.
Die kommt in verschiedenen Ausführungen. Die Standardedition ist eine einfache CD mit 16 Songs, die bis auf "Mein Herz brennt" alle als Single veröffentlicht wurden, wobei jedoch nicht alle Singleauskopplungen berücksichtigt werden. Bis auf das brandneue "Mein Land", eine flotte und typische Nummer mit scheinbarem Nonsens-Text, wurden alle Songs auch auf den sechs Studioalben veröffentlicht. Für Fans der Band ist diese Edition also völlig verzichtbar, weil sie überhaupt keine Kaufanreize zu bieten hat. Wer jedoch lediglich an einer ordentlichen Best Of interessiert ist, bekommt hier Befriedigung. Eine Meinung zur Songauswahl verbietet sich, wenn man mit dem gesamten Schaffen der Band vertraut ist, denn dann hat man eh Lieblingslieder, die nicht unbedingt eine Single waren und eine Zusammenstellung der persönlichen Favoriten sähe ganz anders aus.
Die Special Edition von "Made In Germany 1995 - 2011" kommt als Doppel-CD und jetzt wird es auch langsam für die Leute interessant, die alle Alben im CD-Regal stehen haben, aber nicht jede Single. Denn auf der zweiten CD gibt es 17 Remixe von Single-Tracks und die zeigen einerseits, dass sowohl RAMMSTEIN als auch die Remixer jede Menge Humor haben, anderseits sind die Interpretationen auch enorm abwechslungsreich - und bedingen, dass man auch mit elektronischer Musik etwas anfangen kann. Hier bietet es sich an, kurz auf jeden einzelnen Remix einzugehen.
Du riechst so gut '98 - Remix by Faith No More (1998):
Eine sehr kurze und ebenso reduzierte Version, die eigentlich nur aus Streicherklängen und Gesang besteht und völlig überflüssig ist.
Du hast - Remix by Jacob Hellner (1997):
Schon deutlich besser. Der komplett elektronische Remix kommt zwar ohne Gitarren aus, gefällt aber mit sehr coolen, düsteren Sounds. Kann man auch im Club spielen.
Stripped - Remix by Johann Edlund - Tiamat (1998):
Hier erwartet man Gitarren, bekommt sie aber nicht. Stattdessen sanfte Beats und atmosphärische Sounds. Durch den reduzierten Sounds rückt der Gesang in den Vordergrund, was angesichts Lindemanns englischer Aussprache kein Genuss ist.
Sonne - Remix by Clawfinger (2001):
CLAWFINGER kann man durchaus als Einfluss für RAMMSTEIN bezeichnen, weshalb es nicht verwundert, dass der Remix im typischen Sound der Schweden nah am Original ist, wenngleich er etwas synthetischer klingt.
Links 2 3 4 - Remix by Westbam (2001):
Achtung, Techno! Unverkennbar WESTBAM, der sich in diesem Remix auf das rhythmische Fundament des Originals, also den Beat und den Bass beschränkt und Gesang außen vorlässt. Cool.
Mutter - Remix by Sono (2002):
Eine düstere Drum'n'Bass-Nummer, die jedoch mit dem Song selber so gut wie nichts gemein hat. Nur ein Sample des gebrüllten "Mutter" und die Andeutung eines Gitarrenriffs erinnern an das Original.
Feuer frei! - Remix by Junkie XL (2002):
Fett Bigbeat-Version, die ordentlich knallt, Gitarren kommen wiederum nur im Refrain vor.
Mein Teil - Remix by Pet Shop Boys (2004):
Die PET SHOP BOYS remixen RAMMSTEIN? Und dann auch noch "Mein Teil"? Klingt nach einer skurrilen Kombination, funktioniert aber unerwartet gut, zumal der Remix härter ist, als man erwartet hätte. Synthiepop mit Gitarren. Gefällt.
Amerika - Remix by Olsen Involtini (2004):
Einen schwachen Song macht ein Remix auch nicht besser. Schon gar nicht als seltsame Weltmusik-Folk-Nummer mit lateinamerikanischem Rhythmus und Flair. Daran ändern auch die Mariachi-Tröten nichts.
Ohne Dich - Remix by Laibach (2005):
Der Remix von Laibach ist kein Remix, sondern eine Coverversion mit weiblichem und männlichem Gesang. Funktioniert auch ohne Gitarren gut.
Keine Lust - Remix by Black Strobe (2005):
Wieder eine Technonummer, die minimalistisch startet, aber im weiteren Verlauf an Intensität ordentlich zulegt und zum Ende hin richtig geil wummert. Dazu gibt es verfremdete Gesangspassagen.
Benzin - Remix by Meshuggah (2005):
Die schwedischen Mathematik-Metaller zerlegen den Song komplett und bauen ihn mit komplett neuem Riffing wieder auf. Lediglich die Keyboardsounds im Hintergrund sind am Original angelehnt. Schleppend und düster.
Rosenrot - Remix by Northern Lite (2005):
Stampfender Synthiepop mit akustischem Riff. Nach dem ersten Refrain wird es kurz härter, bevor es in das ungewöhnliche Schema zurück geht. Spannend.
Pussy - Remix by Scooter (2010):
"This is pussy, pussy, pussy, SCOOTER at the remix!" "Pussy" in der Bauern- und Dorfdeppen-Technoversion. Wie gesagt, RAMMSTEIN haben Humor.
Rammlied - Remix by Devin Townsend (2010):
DEVIN TOWNSEND hat auch Humor und ist darüber hinaus eh völlig durchgedreht. Der Beweis kommt hier in Form von Banjoklängen und Furzgeräuschen.
Ich tu dir weh - Remix by Fukkk Offf (2010):
Ein belangloser Dance-Remix eines Songs, der eh nicht viel Belang hatte, aber immerhin dafür sorgte, dass RAMMSTEIN werbewirksam auf dem Index landeten.
Haifisch - Remix by Hurts (2010):
Der "Haifisch" im düster-bombastischer Synthiepop-Gewand.
Soweit zu den Remixen. Der echte RAMMSTEIN-Fan wird aber letztlich doch zur Limited Super Deluxe Edition gegriffen haben (ist bereits ausverkauft), denn die kommt mit drei (!) Bonus-DVDs, auf denen es alle 23 Videos samt Making Of's zu sehen gibt sowie einem Fotobuch. Und wenn man total bescheuert ist, kauft man sich alle verfügbaren Ausführungen und das dürften einige sein, weil "Made In Germany 1995 - 2011" mit sechs verschiedenen Covern (pro Bandkopf eines) erscheint.
FAZIT: Wer wissen will, warum RAMMSTEIN so unglaublich erfolgreich sind, kauft sich diese Zusammenstellung und guckt, dass man noch eine Karte für die laufende Tour bekommt.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.12.2011
Oliver Riedel
Till Lindemann
Richard Z. Kruspe, Paul Landers
Christian Flake Lorenz
Christoph Schneider
Vertigo/Universal
84:54
02.12.2011