Der Urlaub bietet Zeit und Muße, ein weiteres vergessenes Kleinod aus den Tiefen des metallischen Universums zu Tage zu fördern und allen ans Herz zu legen, die für Abseitiges zu begeistern sind und sich für Einzigartigkeit erwärmen können. Wer gut zu verortenden Genrestoff sucht, sei an dieser Stelle also gewarnt, denn je nach Vorlieben kann der durch und durch originelle RELEASE-Stil beim Hörer auch einen „nicht Fisch, nicht Fleisch“ Eindruck hinterlassen.
Will man ein Bild des Albums vermitteln, ist das aus diesem Grund nur schwierig und anhand hinkender Vergleiche möglich. Zwar könnte man die aus der Bay-Area stammende Band (mit personellen Parallelen zu ANVIL CHORUS, METAL CHURCH, SKINLAB, SACRILEGE B.C., LEVIATHAN) einfach als „Post-Metal“ bezeichnen, aber was das ist, weiß erstens auch keiner so recht und zweitens gab es das 1995 noch nicht.
Und doch, 1995 war das schon irgendwie „post“. RELEASE nehmen sich gewisser althergebrachter Standards an, wandeln um, interpretieren neu, schwingen anders, fügen einiges hinzu und lassen vieles weg. Letzter Punkt ist wichtig, RELEASE sind Meister der Reduktion. In sehr eigentümlicher Weise. Voilà, der erste hinkende Vergleich: CORONERs „Grin“. Die Schweizer nahmen im Laufe ihrer Karriere die Zahl der Anschläge und Drumbeats immer weiter zurück und gelangten auf „Grin“ zum absoluten Kern ihrer Songs, die trotz vordergründiger Einfachheit unglaublich fesselnd und auch nach Jahren nie langweilig sind. Auch RELEASE spielen nur das Nötigste, das aber extrem prägnant und unvergesslich. Neben den Gitarristen ist es gerade der Schlagzeuger, der mit präzise auf den Punkt gespielten Motiven von hohem Wiedererkennungswert überzeugt. Die Gitarren bieten durch den Einsatz von Dissonanzen und schrägen Melodien die Vorlage für den hinkenden Vergleich Nummer zwei: VOIVOD. Das leicht Psychotische, Psychedelische, Nervenzerrende haben beide Truppen. Kombiniert man das Ganze mit einer Tendenz zu düsterer Montonie, so bietet sich der dritte hinkende Vergleich an, PITCH SHIFTER zu „Desensitized“-Zeiten. Dargeboten wird dieser stimmungsvolle Cocktail in einem der besten Sounds, die je auf einer Metalplatte zu hören waren. Zwar nicht übermäßig fett im Sinne aufgeplusterter Gitarren, getriggerter Drums und lautstärkemäßig völlig überrissenen Masterings, ist die Produktion von „End Of The Light“ sowas von furztrocken, luftig und direkt, dass man sich wünscht, alle Mischer der Welt würden bei Kent Matcke mal ein Praktikum machen. Sänger Aaron Zimpel erinnert stimmlich ein wenig an James Hetfield, obwohl dieser Vergleich – ihr wisst schon – hinkt, allein dadurch, dass er völlig anders betont.
Wer jetzt glaubt, irgendwie immer noch kein richtiges Bild davon zu haben, wie RELEASE nun klingen, dem sei gesagt: macht nix. Wer glaubt, er könne es sich vorstellen, liegt wahrscheinlich daneben. Denn obwohl die Jungs weder so virtuos wie CORONER, noch so krachig wie VOIVOD, noch so monoton wie PITCH SHIFTER sind und das Rad selbstverständlich nicht neu erfinden, schaffen sie es dennoch, zehn verdammt starke, atmosphärisch vollkommen eigenständige Songs zu schreiben, die trotz ihrer Schrägheit auf Anhieb zünden. Ein Jammer, dass der Band nur diese eine Scheibe beschieden war.
FAZIT: Wieder einmal ein Vertreter der Kategorie „Die besondere Band“. RELEASE waren niemals verdächtig, das nächste große Ding zu werden. Dafür waren sie den CDU-Metallern nicht Old School genug und für die aufkeimende MACHINE HEAD-Posse viel zu untrendy. Aber Charakter hatten sie. Und das wiegt bei immer mehr immer austauschbareren Bands umso schwerer.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.08.2011
Nathan Harlow
Aaron Zimpel
Aaron Zimpel, Gary Wendt
Steve Kilgore
Century Media
52:46
01.08.1995